ReferentInnen und Themen der Turmgespräche an der Universität zu Köln
Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen gegen den Klimawandel auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts? Vera Obernosterer, 18. September 2024
Die Bestrebungen im Kampf gegen den Klimawandel haben längst auch das Gesellschaftsrecht erreicht und lebhafte Diskussionen ausgelöst. Die Wirtschaftsrechtliche Abteilung des diesjährigen 74. Deutschen Juristentags wird sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sich gesetzgeberische Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts empfehlen (vgl. https://djt.de/74-djt/fachprogramm/wirtschaftsrecht/). Vera Obernosterer wird zu dieser Frage auf Grundlage der vom Gutachter, Herrn Prof. Dr. Marc-Philippe Weller, vorgebrachten legislatorischen Vorschläge ein Referat beisteuern. Ein besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die kürzlich vom Europäischen Gesetzgeber beschlossene Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD).
Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung ohne vorherige Fristsetzung im Lichte des neuen § 475d BGB Christian Deckenbrock, 3. Juli 2024
Geschäftsleiterhaftung für Unternehmensbußgelder unter besonderer Berücksichtigung des Kartellrechts Bernd Scholl, 28. Juni 2024
Die Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern für gegen die Gesellschaft verhängte Geldbußen wird insbesondere für Kartellbußen kontrovers diskutiert. Das OLG Düsseldorf hat einen Bußgeldregress in einer Entscheidung aus dem vergangenen Jahr abgelehnt, weil er mit dem Sinn und Zweck kartellrechtlicher Unternehmensgeldbußen nicht vereinbar sei (Urteil vom 27.7.2023 – 6 U 1/22 (Kart)). Damit stellt sich das Gericht gegen die bisher herrschende Meinung im Gesellschaftsrecht. Eine höchstrichterliche Klärung steht weiterhin aus. Bernd Scholl wird in seinem Vortrag auch auf Geldbußen in anderen Rechtsgebieten wie dem Bank- und Kapitalmarktrecht sowie dem Datenschutzrecht eingehen.
Fehlerhafte Betriebsvereinbarungen Matthias Sendner, 4. Juni 2024
Die Betriebsvereinbarung hat als Vertrag mit normativer Wirkung (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) seit jeher das Interesse der Arbeitsrechtswissenschaft auf sich gezogen. Der Umgang mit Fehlern beim Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung führt hierbei allerdings ein Schattendasein. Das überrascht, ist doch die Bestimmung der adäquaten Folge von Rechtsfehlern dem Arbeitsrecht nicht unbekannt: Unbillige Weisungen, fehlerhafte Arbeitsverträge, oder – besonders aktuell – gleichheitswidrige Tarifverträge. Matthias Sendner stellt sein Dissertationsthema „Fehlerhafte Betriebsvereinbarungen“ vor und legt dabei den Fokus auf die Frage, ob ungeachtet der Vorschriften des BGB über das Zustandekommen und die (Un-)Wirksamkeit von Rechtsgeschäften methodischer Spielraum für eine eigenständige Fehlerfolgenlehre für Betriebsvereinbarungen besteht.
Die K.I.c. – Zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Rahmen der Vertragsanbahnung Jan Alexander Daum, 16. Januar 2024
Am 9.12.2023 konnten sich Kommission, Parlament und Rat im sog. Trilog auf eine gemeinsame Fassung einer Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz einigen. Die vom sog. AI Act vorgesehenen Anforderungen werden vorrangig den produkthaftungsrechtlichen Fehlerbegriff konkretisieren und richten sich primär an die Anbieter sog. Hochrisiko-KI. Zur Hochrisiko-KI zählt der Verordnungsentwurf u.a. solche Systeme, die in der kritischen Infrastruktur, der Medizin, bei der Vergabe von Arbeitsplätzen oder im Rahmen der Darlehensgewährung herangezogen werden. Die Nutzer von Hochrisiko-KI sollen sich demgegenüber auf die einzuführende Zertifizierung verlassen können. In den weiten Bereichen der verschuldensabhängigen Haftung werden sie eine Haftung grundsätzlich vermeiden können, indem sie zertifizierte Systeme entsprechend der vom Anbieter bereitzustellenden Gebrauchsanweisung verwenden.
Der Vortrag beleuchtet die Auswirkungen des AI Acts auf die vorvertragliche Haftung der KI-Nutzer. Zu einer solchen kommt es insbesondere, wenn der KI-Anbieter als Erfüllungsgehilfe des Nutzers tätig wird. Am Beispiel des Verbraucherdarlehensvertrags wird herausgearbeitet, ob bzw. welche Fehler des Anbieters dem Darlehensgeber als KI-Nutzer zugerechnet werden können. Zuletzt wird erörtert, welche KI-spezifischen Hindernisse bei der Durchsetzung etwaiger Ansprüche bestehen und inwiefern diese durch die angedachte KI-Haftungs-Richtlinie beseitigt werden könnten.
Der Prozesszweck im Anthropozän David Markworth, 9. Januar 2024
Landläufig wird dem Zivilprozess im Verhältnis zum materiellen Recht eine dienende Funktion zugesprochen. Der Zweck des Zivilprozesses wird darin gesehen, subjektive Rechte festzustellen und zu verwirklichen. Diese Zwecksetzung prägt die Auslegung einzelner prozessualer Normen und die Leitung des Prozesses. Darüber hinaus kommt ihr auch bis in die Gegenwart hinein eine rechtspolitische Leitsternfunktion zu. So sind selbst die neuartigen Abhilfeklagen und Musterfeststellungsklagen auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse jeweils einzelner Verbraucher ausgerichtet. Demgegenüber soll die Bewährung der objektiven Rechtsordnung allein eine Fernwirkung des Prozesses sein. Es herrscht ein Konsens dahingehend, dass das Klagerecht im privatrechtlichen Anspruch unweigerlich enthalten und ihm als etwas Nachfolgendes zugeordnet ist.
Der Vortrag zeigt auf, dass die Tragfähigkeit dieses Prozesszwecks heute brüchig wird. Er wählt dazu das Beispiel von durch Privaten gegen andere Private (Unternehmen) angestrengten „Klimaklagen“. In Deutschland haben solche Klimaklagen bislang nur eine eingeschränkte praktische Bedeutung. Allgemein wird ihnen aber das Potenzial zugesprochen, scharfe Schwerter im Rahmen der Bekämpfung des Klimawandels sein zu können. Die herkömmliche Ausrichtung des Zivilprozesses auf die Durchsetzung subjektiver Rechte erweist sich insofern jedoch in verschiedener Hinsicht als Hemmschuh. Vor diesem Hintergrund untersucht der Vortrag drei Handlungsperspektiven: die Beibehaltung des Status Quo unter weitgehender Freihaltung des deutschen Zivilprozesses von Klimaklagen, die Ermöglichung ziviler Klimaprozessführung durch verbandsmäßig organisierte Interessenvertreter unter gradueller Auflösung des Ableitungsverhältnisses von materiellrechtlichem, aus einer Rechtsverletzung herrührendem Anspruch und Klagerecht sowie die unter dem Stichwort „Rights of Nature“ bekannte Subjektivierung objektiven Naturschutzrechts.
Das Hinterbliebenengeld als kleines Schmerzensgeld? – Eine kritische Würdigung des "Abstandsgebots" des BGH Christoph Jansen, 6. November 2023
In ersten höchstrichterlichen Entscheidungen zu der Mitte des Jahres 2017 in Kraft getretenen Regelung des Hinterbliebenengelds in § 844 Abs. 3 BGB verfestigt sich eine richterrechtliche Ausgestaltung dieses neuen Rechtsinstituts als „kleines Schmerzensgeld“. Der Vergleich mit etablierten Wertungen des § 253 Abs. 2 BGB liegt nahe, geht aber gerade im Hinblick auf die Bemessung der Entschädigung fehl. Diese folgt eigenen Kriterien und unterliegt insbesondere keiner Deckelung. Der BGH geht hingegen von einem Abstandsgebot zum immateriellen Schockschadensersatz aus (BGHZ 235, 254 = NJW 2023, 1438). Der Vortrag beleuchtet die bemessungsrelevanten Funktionen und Hintergründe des Entschädigungsanspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB und stellt davon ausgehend das Verhältnis von Hinterbliebenengeld und Schockschadensersatz klar.
Betriebsverfassungsrecht als geronnenes Verfassungsrecht – gibt es ein "Grundrecht auf Mitbestimmung"? Lukas Diepenthal, 5. Juli 2023
Während Gewerkschaften durch Art. 9 Abs. 3 GG in ihrer Koalitionsfreiheit geschützt sind, besteht für Betriebsräte kein explizites grundrechtliches Pendant. Noch in Art. 165 Abs. 2 WRV waren „gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten“ vorgesehen, die Arbeitern und Angestellten die „Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen“ ermöglichen sollten. Eine vergleichbare Vorschrift im Grundgesetz sucht man aber vergebens. Ist danach die betriebliche Mitbestimmung eine der wenigen verbleibenden Bastionen verfassungsfreien Privatrechts? Dies anzunehmen wäre vorschnell, bleiben doch verschiedene normative Anknüpfungspunkte zu diskutieren (etwa die Menschenwürde, die Koalitionsfreiheit, die Berufsfreiheit oder die allgemeine Handlungsfreiheit), aus denen implizit doch noch ein „Grundrecht auf Mitbestimmung“ folgen könnte.
Die hierzu im Schrifttum vertretenen Ansätze greift Lukas Diepenthal auf, erörtert mögliche Auswirkungen einer verfassungsrechtlich garantierten betrieblichen Mitbestimmung auf das „zweispurige“ System des kollektiven Arbeitsrechts und unterzieht die Idee einer impliziten Herleitung – insbesondere mit Blick auf einschlägige Diskussionen im Parlamentarischen Rat – einer kritischen Prüfung.
Der (neue) Anspruch auf Bereitstellung essenzieller Arbeitsmittel und das allgemeine Schuldrecht Stephan Seiwerth, 20. Juni 2023
Das Bundesarbeitsgericht hat (erst) im Jahr 2021 einen Anspruch von Arbeitnehmer*innen auf Bereitstellung essenzieller Arbeitsmittel geschaffen. Dem liegt die historische „Grundannahme zugrunde, dass der Arbeitnehmer (nur) die Arbeitsleistung schuldet und der Arbeitgeber das Substrat zur Verfügung stellt, an bzw. mit dem die Arbeitsleistung erbracht wird“. Diese neue (Haupt‑)Leistungspflicht der Arbeitgeber*in hat erhebliche praktische Bedeutung sowohl für klassische Industriearbeit als auch für Home- oder Mobile-Office Konstellationen und etwa die Lieferdienste der „Economy 4.0“. Der Vortrag konkretisiert und charakterisiert diesen bislang noch recht amorphen Anspruch auf Bereitstellung essenzieller Arbeitsmittel anhand der Regeln des allgemeinen Schuldrechts.
Gewährleistung für in Sachen enthaltene oder mit Sachen verbundene digitale Produkte – Bestimmung des anwendbaren Gewährleistungsrechts Karina Grisse, 17. Mai 2023
Mit der Umsetzung der Digitale Inhalte RL wurde mit den §§ 327 ff. ein allgemeines Gewährleistungsrecht für digitale Produkte ins BGB eingefügt. Unter bestimmten Bedingungen sollen aber digitale Produkte, die in Waren enthalten oder mit Waren verbunden sind, dem kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht unterfallen, das in Umsetzung der Warenkauf RL besondere „digitale“ Regelungen erhalten hat. Der Vortrag befasst sich mit der Frage, wie die Abgrenzung zwischen den beiden Gewährleistungsregimen zu vollziehen ist, und beleuchtet die praktische Relevanz dieser Frage.
Die Anknüpfung vertragsnaher Bereicherungsansprüche im internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht Lukas Rademacher, 21. November 2022
Die Dogmatik des deutschen materiellen Rechts ordnet Bereicherungsansprüche durchweg als außervertraglich ein. Das europäische internationale Privatrecht differenziert dagegen zwischen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nichtiger Verträge, für die sich das anwendbare Recht nach der Rom I-VO bestimmt, und anderen Bereicherungsansprüchen, die der Rom II-VO unterfallen. Die dabei gebildeten Kategorien haben zugleich Folgewirkungen für die internationale Zuständigkeit der Gerichte. Der Vortrag unternimmt den Versuch einer Systematisierung von vertragsnahen Bereicherungsansprüchen im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, legt Wertungswidersprüche der vorhandenen Regelungen offen und lotet Reformperspektiven aus.
Die Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln im Zivilprozess unter europäischem Einfluss Tobias Voigt, 12. Oktober 2022
Rechtsprechung und überwiegende Teile der Lehre sehen den Zivilprozess in Deutschland als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet. Zur Sachverhaltsfeststellung im Rechtsstreit hat jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen. Die materielle Beweislastverteilung und der prozessuale Beibringungsgrundsatz führen dazu, dass der Kläger den Prozess verliert, wenn er nicht alle anspruchsbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann (non liquet). Obwohl auch der Beklagte vollständige und wahrheitsgemäße Erklärungen abzugeben verpflichtet ist (§ 138 Abs. 1 ZPO), muss er grundsätzlich den Gegner nicht mit Beweismitteln unterstützen, zu denen dieser keinen Zugang hat. Ungeachtet einer wachsenden Zahl an Ausnahmen überwölbt nach herrschendem Verständnis insbesondere aus Sicht des Beklagten noch immer der archaische Grundsatz "nemo tenetur edere contra se" die Beweislastverteilung und den Beibringungsgrundsatz bei der prozessualen Stoffsammlung.
Für ein modernes Zivilverfahren wird dessen Fortgeltung immer wieder in Zweifel gezogen. Im Discovery-Verfahren des US-amerikanischen Zivilprozesses haben die Parteien schon vorprozessual die Beweismittel zu bezeichnen, auf die sie sich später im Rechtsstreit stützen. Auch u.a. das englische Recht kennt eine Pflicht der nicht-beweisbelasteten Partei, Beweismittel offenzulegen (disclosure). Im vergangenen Jahr stellte eine Gruppe europäischer Hochschullehrer unter dem Dach des European Law Institute (ELI) sowie von UNIDROIT seit 2013 unter dem Eindruck der internationalen Entwicklung gemeinsam erarbeitete Empfehlungen in Gestalt von Modellregeln für den Europäischen Zivilprozess (Model European Rules of Civil Procedure) vor. Unter starker Betonung des Interesses an prozessualer Wahrheitsfindung sind die Parteien danach zur Kooperation im Rechtsstreit verpflichtet. Trotz Anerkennung der Beweislastregeln und des Beibringungsgrundsatzes wird der Nemo-tenetur-Grundsatz als rückständig verworfen zugunsten prozessualer und vorprozessualer Pflichten der Parteien zur Offenlegung von Beweismitteln.
Der Vortrag geht der Frage nach, welche dogmatischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede beide Positionen aufweisen und welcher Einfluss von der europäischen Rechtsentwicklung auf die deutsche Rechtspraxis ausgeht. Auch etwa die Europäische Verbandsklage-Richtlinie 2020/1828 sieht in Art. 18 Offenlegungspflichten der Parteien vor. Auswirkungen auf die Architektur der Stoffsammlung und Relationstechnik des Zivilprozesses hierzulande sollen erörtert und diskutiert werden.
Nachhaltig konsumieren! Aber wie? - Was Verbraucher*innen wissen müssen und wie das Zivilrecht helfen kann Karina Grisse, 20. September 2022
Immer mehr Verbraucher*innen möchten bei ihren Konsumentscheidungen auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Industrie und Handel haben erkannt, dass Verbraucher*innen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit legen und werben mit Aussagen wie „klimaneutral“, „ohne Mikroplastik“, „aus recyceltem Plastik“. Es besteht die Gefahr, dass punktuelle Werbeversprechen mit einzelnen „grünen“ Schlagworten zu unberechtigt positiven Erwartungen an die Umwelt- und Klimaverträglichkeit eines Produktes und seiner Handelskonditionen führen. Eine im Sinne der Nachhaltigkeit zuverlässig „richtige“ Verbraucherentscheidung ermöglichen derartige Informationen jedenfalls nicht. Damit Verbraucher*innen nachhaltigkeitsorientiert entscheiden und ihre Marktmacht gezielt in diesem Sinne einsetzen können, müssen sie umfassend informiert werden.
Das Zivilrecht kennt bereits gewisse Informationskriterien, an denen Produktkennzeichnungen zu messen sind. Mit Blick auf Nachhaltigkeitsbelange führen diese Regeln derzeit aber nicht zu den erforderlichen Informationen.
Der Vortrag soll beleuchten, welche Informationsanforderungen das Zivilrecht, insbesondere das Wettbewerbsrecht, de lege lata an nachhaltigkeitsbezogene Produktkennzeichnung stellt, wie mit den Mitteln des Zivilrechts eine umfassende und flächendeckende Kennzeichnung erreicht werden kann und wie Informationen und evolvierende Kennzeichnungsinitiativen gesteuert und gebündelt werden können, damit Verbraucher*innen in praktikabler und zumutbarer Weise in die Lage versetzt werden, ihren Konsum effektiv an Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auszurichten.
Der Große Senat als arbeitskampfrechtlicher Zauberlehrling – über Sinn und Unsinn der Rechtsfortbildungsvorlage gem. § 45 Abs. 4 Alt. 1 ArbGG Jakob Schneck, 27. Juni 2022
Bis heute gibt es in Deutschland kein Arbeitskampfgesetz. Stattdessen wird das Rechtsgebiet durch das BAG als „Ersatzgesetzgeber“ ausgeformt. Gebunden ist die Rechtsprechung des 1. Senats dabei an zwei Beschlüsse des Großen Senats von 1955 und 1971, die wegweisende Grundsätze des Arbeitskampfrechts etabliert und damit die Entwicklung der Rechtsprechung maßgeblich geprägt haben – zugleich hat sich der 1. Senat im Laufe von 50 Jahren aber immer weiter von diesen Beschlüssen emanzipiert.
Die daran im Schrifttum geübte Kritik relativiert sich mit Blick auf die Hintergründe des zweiten und bedeutsameren Beschlusses. Er erging auf eine Rechtsfortbildungsvorlage (§ 45 Abs. 4 Alt. 1 ArbGG), die – anders als die anderen Vorlagemöglichkeiten an den Großen Senat – nicht der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung dient. Woher kommt das eigentümlich anmutende, wenig bekannte und wenig gebrauchte Instrument der Rechtsfortbildungsvorlage? Und welchen Zweck verfolgt es in der heutigen Gerichtsverfassung? Jakob Schneck legt in seinem Vortrag den nationalsozialistischen Ursprung offen und stellt die Sinnhaftigkeit des Instruments, das sich in den Prozessordnungen aller obersten Bundesgerichte findet, anhand einer Analyse seiner Auswirkungen im Arbeitskampfrecht infrage. Er plädiert dafür, es abzuschaffen, und wirft die Frage auf, wie man mit den bestehenden Beschlüssen im Arbeitskampfrecht umgehen sollte.
Berufsrecht des Syndikusrechtsanwalts Lena Özman, 25. Mai 2022
Zum 1.1.2016 hat der Gesetzgeber das Recht der Syndikusanwälte (§§ 46 ff. BRAO) grundlegend reformiert. Mit Aufgabe der früher herrschenden Doppelberufstheorie hat er anerkannt, dass die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten des nichtanwaltlichen Arbeitgebers eine anwaltliche Tätigkeit sein kann. Seitdem können Unternehmensjuristen unter bestimmten Voraussetzungen bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer eine tätigkeitsbezogene Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erlangen. Da die Zulassung zugleich den Weg in das anwaltliche Versorgungswerk eröffnet, ist die Deutsche Rentenversicherung Bund im Verfahren anzuhören.
Viele durch diese tiefgreifende Reform neu aufgeworfenen Fragen konnten inzwischen zwar höchstrichterlich geklärt werden (es sind an die 100 BGH-Entscheidungen ergangen), auch hat der Gesetzgeber im Rahmen der sog. Großen BRAO-Reform Nachjustierungen vorgenommen. Lena Özman stellt in ihrem Vortrag allerdings heraus, dass manche Probleme bis heute einer praxisgerechten Lösung harren. Sie arbeitet zudem Fehlentwicklungen heraus und skizziert weiteren rechtspolitischen Handlungsbedarf. Inhaltliche Schwerpunkte ihres Vortrags werden insbesondere die (teilweise) verbotene Drittberatung von Kunden des Arbeitgebers sowie das (Nicht-)Bestehen von Zeugnisverweigerungsrechten zugunsten der inzwischen über 20.000 Syndikusrechtsanwälte sein.
Kinderbilder in den sozialen Netzwerken – Wenn Eltern posten Johanna Croon-Gestefeld, 26. April 2022
Es ist ein ganz gewöhnlicher Vorgang, wie er auf jedem Spielplatz zu beobachten ist: Eltern nehmen per Handy Bilder ihrer Kinder auf, um diese Bilder anschließend in sozialen Netzwerken zu teilen. Auch wenn es sich beim Teilen von Fotos oder Videos der eigenen Kinder im Internet um ein alltägliches Geschehen handelt, ist die Praxis nicht unbedenklich. Die Gefahr besteht, dass die Daten der Kinder in falsche Hände geraten.
Eine Analyse des rechtlichen Rahmens des sog. Sharentings zeigt, dass Eltern grundsätzlich der Zustimmung des einwillungsfähigen Kindes oder eines Ergänzungspflegers bedürfen, um Bilder ihrer Kinder in sozialen Netzwerken zu teilen, welche sich Lizenzen an den Aufnahmen einräumen lassen und Inhalte für eigene Zwecke oder die Zwecke Dritter auslesen. Mit anderen Worten: Der gewöhnliche Vorgang, Bilder des eigenen Kindes schnell mal auf Facebook, Instragram oder TikTok hochzuladen, wird als rechtswidrig bewertet.
Um diese These zu entwickeln, wird zunächst erklärt, welche Verhaltensweisen mit dem Begriff des Sharenting umschrieben werden. Danach wird erläutert, was beim Hochladen von Bildern auf beliebten Online-Plattformen geschieht. Im Anschluss werden die unterschiedlichen rechtlichen Positionen, die vom Teilen von Kinderbildern im Netz berührt werden, genauer gewürdigt. In Anbetracht der Vorarbeiten wird dargelegt, dass Eltern Bilder ihrer Kinder über soziale Netzwerke im Regelfall nur teilen dürfen, wenn ihr einwilligungsfähiges Kind oder ein Ergänzungspfleger hierin eingewilligt hat. Der Vortrag schließt mit Überlegungen dazu, wie der rasante digitale Fortschritt das Recht fordert.
Wissenszurechnung bei § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Anna Pues, 20. Januar 2022
Der Anlauf der zivilrechtlichen Regelverjährungsfrist setzt u.a. voraus, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Ist der Gläubiger eine arbeitsteilige Organisation, stellen sich Fragen der Wissenszurechnung.
Die Wissenszurechnung bei arbeitsteiligen Organisationen beschäftigt Wissenschaft und Praxis seit vielen Jahren. Insbesondere die Zurechnung von Wissen aufgrund der Verletzung von Wissensorganisationspflichten gibt Rätsel auf. Eines davon ist die Frage, auf welche Wissensnormen dieser Zurechnungsmechanismus angewendet werden kann.
Der Vortrag beleuchtet das Für und Wider einer Zurechnung kraft Verletzung von Wissensorganisationobliegenheiten zur Begründung des Regelverjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 BGB.
Die Implementierung des Anfechtungsmodells in das Personengesellschaftsrecht durch das MoPeG - Reichweite und Konsequenzen Ann-Marie Kaulbach, 28. September 2021
Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) beschlossen, das zum 1.1.2024 in Kraft tritt. Damit wird unter anderem ein Anfechtungsmodell nach aktienrechtlichem Vorbild in das Personengesellschaftsrecht implementiert.
Im Personengesellschaftsrecht gibt es bislang - anders als im Aktienrecht - kein Beschlussmängelrecht, das diesen Namen verdient. Beschlüsse, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sind grundsätzlich nichtig. In Ermangelung einer speziellen Klageart kann die Nichtigkeit mit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO geltend gemacht werden. Dafür gilt grundsätzlich nur die Grenze der Verwirkung, eine Klagefrist gibt es nicht. Durch das MoPeG werden nun Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage in das Personengesellschaftsrecht eingeführt - allerdings nur in das Recht der Personenhandelsgesellschaften, nicht für die GbR oder die PartG. Damit bleibt das Gesetz hinter dem Entwurf der Expertenkommission zurück, der das Anfechtungsmodell für alle Personengesellschaften vorgesehen hatte.
Der Vortrag bietet einen Überblick über das neue Anfechtungsmodell für Personenhandelsgesellschaften, eine Bewertung der Neuregelung sowie einen Ausblick auf die mögliche Ausstrahlungswirkung auf das Recht der GmbH.
Gesetzliche Eigentumszuordnung von Windkraftanlagen – ein Scheinproblem? Robin Kuhl, 8. Juli 2021
Seit 2020 ist die Windkraft der wichtigste deutsche Energieträger. Etwa 30.000 Windkraftanlagen sorgen in Deutschland für die Umwandlung von Wind in Strom. Aber wem gehören die Anlagen, die auf fremden, von den Betreibenden nur gemieteten Grundstücken errichtet sind? Über diese zivilrechtliche Kernfrage wurde kontrovers debattiert. Ein Scheinproblem? Probleme offenbart die Diskussion jedenfalls bezogen auf die Dogmatik der gesetzlichen Eigentumszuordnung zu Grundstücken.
Gemäß § 946 BGB entscheidet sich die Eigentumsfrage danach, ob Windkraftanlagen wesentliche Bestandteile (§§ 93, 94 BGB) oder Scheinbestandteile (§ 95 BGB) eines Grundstücks sind. Der Vortrag beleuchtet das Spannungsfeld zwischen §§ 93, 94 BGB und § 95 BGB. Es werden die Probleme des Regelungskomplexes aufgezeigt und die Bedeutung der Debatte über Windkraftanlagen eingeordnet. Letztlich soll zur Diskussion darüber angeregt werden, ob bzw. wie ein Ausgleich zwischen den Normen gelingen kann.
Widerruf von Dienstleistungsverträgen David Markworth, 22. Juni 2021
EuGH und BGH hatten sich zuletzt mehrfach mit dem Widerruf von Dienstleistungsverträgen auseinanderzusetzen, der dadurch erstmalig als scharfes Schwert des Verbraucherschutzes im Dienstleistungssektor in das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gelangte. In der Folge ist viel rechtspolitische Kritik zu vernehmen. Es wird verbreitet die Auffassung vertreten, der Widerruf sei bei Dienstverträgen ein gänzlich unpassender Rechtsbehelf und müsse zurückgedrängt werden.
In seinem Vortrag wird David Markworth jedoch aufzeigen, dass auch das nationale Recht ein weitreichendes, voraussetzungsloses Recht zur vorzeitigen Beendigung von Dienstverträgen kennt. „Neu“ ist am europarechtlichen Regelungsansatz vielmehr, dass von einem dienstvertraglichen Einheitsprinzip ausgegangen wird. Anstatt die auf nationaler Ebene anzutreffende Rechtszersplitterung nachzuvollziehen, wird der Weg zu einem „allgemeinen Bereitstellungsrecht“ geebnet. Das Europarecht erweist sich hier als willkommener Zukunftsweiser und Innovationstreiber des Schuldrechts.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied, den der Vortrag behandeln wird, zeigt sich, wenn es um die Bestimmung des dem Leistungserbringer zu gewährenden Wertersatzes geht. Insofern gibt das europäische Recht einen tiefgreifenden Eingriff in die privatautonom ausgehandelte Entgeltabrede vor. Hierdurch werden die Gerichte in die Rolle eines „Preiskommissars“ gezwungen, welche sie kaum ausfüllen können.
§ 2301 BGB und die Abgrenzung von lebzeitigen und letztwilligen unentgeltlichen Rechtsgeschäften Isabell Meyer, 7. Mai 2021
Die Schenkung von Todes wegen nach § 2301 BGB unterstellt überlebensbedingte Schenkungen den Vorschriften über letztwillige Verfügungen und damit dem gesamten Erbrecht. Auch wenn der Gesetzgeber hiermit keine allgemeingültige Abgrenzungsnorm statuieren wollte, stellt die Vorschrift des § 2301 BGB den einzigen im BGB enthaltenen Ausgangspunkt für die Differenzierung zwischen lebzeitigen und letztwilligen unentgeltlichen Rechtsgeschäften dar.
§ 2301 BGB erklärt die Überlebensbedingung zum maßgeblichen Abgrenzungskriterium. Damit werden ähnliche Schenkungsgestaltungen, die ebenfalls das Ziel verfolgen, die Rechtsfolgen der Schenkung auf den Tod des Schenkers hinauszuschieben, jedoch nicht durch das Überleben des Beschenkten bedingt sind, nicht dem Erbrecht, sondern stets dem Lebendrecht unterstellt.
Diese widersprüchliche und uneinheitliche rechtliche Einordnung auf den Tod hinausgeschobener Schenkungen wirft die Frage auf, ob im Interesse einer widerspruchsfreien Rechtsordnung der Anwendungsbereich des § 2301 BGB ausgeweitet werden sollte oder ob vielmehr eine Abkehr von § 2301 BGB zu erfolgen hat und ein anderes – allgemeingültiges – Abgrenzungskriterium zu entwickeln ist. Bei der Beantwortung dieser Frage spielen sowohl der Schutzzweck des § 2301 BGB als auch der Schutzzweck und die Grundprinzipien des Erbrechts eine entscheidende Rolle.
Das AGB-Recht als Instrument der Plattformregulierung Tobias Lutzi, 26. April 2021
Die effektive Regulierung von Online-Plattformen dürfte zu den größten rechtspolitischen Aufgaben unserer Zeit gehören. Im Schatten zahlreicher Gesetzesvorhaben, Richtlinienvorschläge und Verordnungsprojekte findet diese Regulierung im Privatrecht längst statt. Deutsche Zivilgerichte äußern sich schon seit einigen Jahren in immer höherer Frequenz zur Zulässigkeit von Klarnamenpflichten, Kontensperren oder der Vererblichkeit von Nutzerkonten. Einfallstor ist die AGB-Kontrolle gem. §§ 305–310 BGB, die die Gerichte zunehmend zum Ausgangspunkt einer umfassenden Grundrechtsabwägung nehmen. Dabei zeigen sich aber inzwischen auch zunehmend die Grenzen dieser Regulierungsform. Der Vortrag nimmt dies zum Anlass, Chancen und Risiken einer Plattformregulierung durch AGB-Kontrolle auszuloten.
Europäische Verbandsklage – Anpassungsbedarf der ZPO bei Parteistellung und Prozessbeteiligung der Verbände und Verbraucher Tobias Voigt, 19. Januar 2021
Jüngst ist die Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (ABl. L 409) in Kraft getreten. Nach Medieneinschätzungen revolutioniert sie das System des kollektiven Rechtsschutzes in Europa. Sie ermöglicht nicht nur grenzüberschreitende, sondern auch innerstaatliche Verbandsklagen. Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass sogenannte Qualifizierte Einrichtungen (z.B. Verbraucherorganisationen) künftig im Namen von Verbrauchern kollektiv gegen Unternehmen klagen können.
In Deutschland ist im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes bereits zum 1. November 2018 das Musterfeststellungsverfahren nach §§ 606–614 ZPO eingeführt worden. In einem zweistufigen Verfahren können Verbände danach zunächst das Bestehen oder Nichtbestehen bestimmter Umstände feststellen lassen. Zur Zahlung oder Leistung kann das Gericht im Rahmen der Musterfeststellung indes nicht verurteilen, vielmehr müssen einzelne Verbraucher Individualansprüche anschließend eigenständig gerichtlich geltend machen.
Die Richtlinie zur europäischen Verbandsklage sieht in Art. 3 Nr. 10, Art. 7 Abs. 4 und insb. Art. 9 vor, dass Verbände nunmehr unmittelbar auf Schadensersatz oder Beseitigung zugunsten der Verbraucher sollen klagen können. Auf den ersten Blick scheint es, als ließen sich die bestehenden Vorschriften zur Musterfeststellungsklage leicht in diese Richtung erweitern. Doch die Richtlinie stellt zahlreiche Paradigmen der geltenden ZPO auf die Probe. Ausgehend von der zentralen Frage, wer nach geltendem Recht Partei einer solchen Leistungsklage sein kann, geht der Vortrag im Schwerpunkt auf Fragen der Parteistellung und der Prozessbeteiligung der Verbände und Verbraucher nach der Europäischen Verbandsklage ein und zeigt damit zusammenhängende zivilprozessuale Folgeprobleme auf. So werden deutliche systematische Friktionen zwischen den Vorgaben der Richtlinie und dem bestehenden Recht der ZPO sichtbar und es zeichnen sich Herausforderungen und Anpassungsbedarf des Zivilprozessrechts im Zuge der Umsetzung der Richtlinie ab.
Die Käuferschutzmechanismen von PayPal und Amazon bei der Inanspruchnahme durch Verbraucher Daniel Könen, 7. Januar 2021
Wie schon im Jahr 2017 hat der BGH (Urt. v. 01.04.2020 – VIII ZR 18/19) kürzlich erneut über die Folgen der Inanspruchnahme eines sog. "Käuferschutzes" bei einem Dienstleister im digitalen Geschäftsverkehr entschieden. Ein solcher Käuferschutz existiert etwa bei dem Online-Zahlungsdienst PayPal oder dem Marktplatz von Amazon. Dabei ist eine Dreiecksbeziehung betroffen, im Rahmen derer Käufer und Verkäufer ebenfalls rechtsgeschäftliche Beziehungen mit dem Anbieter des Käuferschutzes pflegen. Dieser trifft im Rahmen eines internen Verfahrens eine Entscheidung über die Schutzbedürftigkeit der Käuferinteressen, wenn bestellte Ware mangelhaft ist oder nicht beim Käufer ankommt. Infolgedessen kann er dem Käufer zulasten des Verkäuferkontos den Kaufpreis erstatten.
Nach den Entscheidungen des BGH erlischt mit der Leistung des Kaufpreises der Erfüllungsanspruch aus dem Kaufvertrag unbedingt. Die Vereinbarung eines Käuferschutzmechanismus bedeute aber, dass der ursprüngliche Kaufpreiszahlungsanspruch im Falle der Rückbuchung durch den Dienstleister wiederbegründet wird.
Methodisch gelangt der BGH zu diesem Auslegungsergebnis im Wege ergänzender Vertragsauslegung. Als virtuelle Marktordnung seien dabei auch die von den Vertragsparteien lediglich im Verhältnis zum Anbieter des Käuferschutzes akzeptierten AGB zu berücksichtigen.
Diese fortgeführte Rechtsprechungslinie stößt bei einem Verbrauchsgüterkauf auf Bedenken, weil jedenfalls in der Inanspruchnahme des Käuferschutzes ein Interesse des Verbrauchers zum Ausdruck kommt, von dem Vertrag Abstand zu nehmen. In seinem Vortrag wird Daniel Könen die rechtliche Schutzwürdigkeit dieses Verbraucherinteresses herausarbeiten und einen Lösungsweg präsentieren, nach dem der Interessenkonflikt zwischen Vertragsauflösung und Wiederbegründung der Kaufpreiszahlungspflicht unter Berücksichtigung AGB-rechtlicher Wertungen zu beseitigen ist.
Das Dogma der "objektiven Auslegung" von AGB Stephan Seiwerth, 8. Dezember 2020
Nach vorherrschender Auffassung gelten verschiedene Besonderheiten bei der Auslegung von AGB. Insbesondere soll ein besonderer "objektiver Auslegungsmaßstab" Anwendung finden. Der BGH formuliert in ständiger Rechtsprechung (zuletzt BGH NJW 2020, 479 Rn. 15): "Vorformulierte Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Interessen des konkreten, sondern des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind". Der Vortrag von Stephan Seiwerth beleuchtet die Argumente und Ideengeschichte dieses Ansatzes, sein Verhältnis zu den allgemeinen Regeln der Auslegung von Rechtsgeschäften sowie dessen Unionsrechtskonformität.
Die massenhafte Rechtsdurchsetzung durch Inkassodienstleister Charlotte Flory, 16. November 2020
In der jüngeren Vergangenheit haben sich insbesondere zur Durchsetzung von Verbraucherrechten zahlreiche Internetportale am Markt etabliert, die Online-Rechtsdienstleistungen ohne Kostenrisiko für die Verbraucher gegen eine Erfolgsbeteiligung anbieten. Das Angebot umfasst in der Regel Ansprüche, deren Durchsetzung sich wirtschaftlich für den Portalbetreiber erst dann rentiert, wenn sie massenhaft erfolgt. Dieses Ziel erreichen diese als Inkassounternehmen registrierten Dienstleister (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG) mithilfe algorithmisch basierter Datenverarbeitung.
Seit der Grundsatzentscheidung des VIII. Zivilsenats des BGH vom 27.11.2019 (Az. VIII ZR 285/18) zur Verbraucherrechteplattform www.wenigermiete.de scheint zwar weitgehend geklärt, dass Inkassodienstleister nicht nur umfangreich über Forderungen beraten dürfen, sondern sogar die Anspruchsvoraussetzungen einer Forderung selbstständig herbeiführen dürfen, wenn die Bestrebungen des Inkassounternehmens letztlich in der Beitreibung einer Forderung münden. Dennoch bleiben Fragen offen. Charlotte Flory wird in ihrem Vortrag die berufsrechtlichen Grenzen des Umfangs der Inkassoerlaubnis herausarbeiten und auch darauf eingehen, inwieweit sich die vom BGH entwickelten Grundsätze verallgemeinern und auf andere Geschäftsmodelle von Legal-Tech-Inkasso, die sich auf die Einsammlung von Forderungen aus demselben Rechtsgrund konzentrieren (wie MyRight in den Dieselfällen), übertragen lassen.
Die Rechtsprechung des BGH offenbart zudem, dass die Rahmenbedingungen für Inkassodienstleister und Rechtsanwälte – letztere unterliegen einem grundsätzlichen Verbot des Erfolgshonorars und einem Prozessfinanzierungsverbot – nicht dieselben sind. Es stellt sich also die Frage, wie sich diese Entwicklung in das Rechtsdienstleistungswesen insgesamt einfügt. Der Vortrag wird daher auch aufzeigen, ob und in welchem Umfang vor diesem Hintergrund ein Tätigwerden des Gesetzgebers wünschenswert ist.
Der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts im Fall vorzeitiger Mandatsbeendigung Christian Deckenbrock, 2. Juli 2020
§ 627 BGB gewährt beiden Parteien eines Dienstverhältnisses höherer Art das Recht, sich auch ohne wichtigen Grund vom Vertrag zu lösen. Mit diesem freien Kündigungsrecht soll dem besonderen Vertrauensverhältnis, das die von § 627 BGB erfassten Dienstverhältnisse in der Regel prägt, Rechnung getragen werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die andere Seite stets die vergütungsrechtlichen Folgen der Kündigungserklärung in Form der Mehrkosten trägt, die die Neubeauftragung eines anderen Dienstleisters mit sich bringt. Insoweit hat der Gesetzgeber mit § 628 BGB eine gesonderte, nur schwer verständliche Regelung geschaffen. Für Anwaltsverträge kommt hinzu, dass sich in § 15 RVG eine gebührenrechtliche Sonderregelung für die anwaltliche Vergütung im Fall vorzeitiger Mandatsbeendigung findet. Zudem ist für Rechtsanwälte die prozessuale Kostenerstattungsnorm des § 91 ZPO, die ebenfalls auf einen Anwaltswechsel im laufenden Mandat eingeht, von besonderem Interesse. In seinem Vortrag wird Christian Deckenbrock die Widersprüchlichkeiten dieses Normgefüges auflösen und die Grundsätze, die für den Vergütungsanspruch des Anwalts im Fall vorzeitiger Mandatsbearbeitung gelten, herausarbeiten.
Zivilrechtliche Eheverbote und deren Reformbedarf - sind Inzest und Polygamie bald erlaubt? Thomas Schäffer, 28. Mai 2020
Die Ehe unterliegt einem stetigen gesellschaftlichen und rechtspolitischen Wandel, dessen historische Entwicklung sich auf etliche Jahrhunderte erstreckt. Dennoch ist die Frage, was den Kern der Ehe heute ausmacht, höchst aktuell. Durch die Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts im Oktober 2017 wurde das Leitbild der Ehe beeinflusst, die vom deutschen Gesetzgeber stets als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau verstanden wurde. Dadurch stellt sich einerseits die Frage, welche Änderung die sogenannte „Ehe für alle“, die wegen der zivilrechtlichen Eheverbote keineswegs allen Menschen offensteht, für den konzeptionellen Rahmen der Ehe bedeutet. Die daran anknüpfende Folgefrage lautet, ob die Eheverbote, die diesen innersten Bereich der Ehe schützen wollen, in Anbetracht des gesellschaftlichen Wandels noch zeitgemäß und verhältnismäßig sind.
Ganz konkret: Inzest und Polygamie – beides ist mit der Ehe in Deutschland unvereinbar. Ist das richtig?
Die Verbraucherfähigkeit der BGB-Gesellschaft Tobias Alexander, 30. April 2020
Die Frage nach der Verbrauchereigenschaft einer BGB-Gesellschaft wird wegen der unzähligen Erscheinungsformen der GbR in vielen Bereichen relevant. Kann sich etwa aktuell ein Abiturjahrgang gem. §§ 312, 312c, 312g BGB auf sein Widerrufsrecht berufen, wenn er für die Planung seines Abistreichs dutzende Wasserpistolen über das Internet bestellt hat, das gemeinsame Vorhaben jedoch wegen der Corona-Pandemie ausfällt? Oder können sich zwei Freunde, die gemeinsam einen Lieferwagen erworben haben, um diesen in ein Wohnmobil umzubauen, gegenüber dem Verkäufer auf § 477 BGB berufen, wenn sich das Fahrzeug kurz nach der Übergabe als mangelhaft erweist? Wie verhält es sich wiederum, wenn sich eine natürliche mit einer juristischen Person zur Errichtung eines Einfamilienhauses zusammenschließt? Dürfte sich auch eine dadurch entstehende BGB-Gesellschaft auf das Widerrufsrecht gem. §§ 650l, 355 BGB berufen?
Die gesetzliche Ausgangslage gibt dabei das derzeit geltende Recht nicht wieder. Nach § 13 BGB unterfallen nur „natürliche Personen“ der Verbraucherdefinition. Die BGB-Gesellschaft zählt hingegen spätestens seit der wegweisenden Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH vom 29. Januar 2001 zu den sog. „rechtsfähigen Personengesellschaften“ und lässt sich daher nicht unter den Wortlaut von § 13 BGB subsumieren. Eine analoge Anwendung des § 13 BGB auf die BGB-Gesellschaft erscheint in Anbetracht des ausdrücklichen Wortlauts von § 14 Abs. 1 BGB nicht überzeugend, als dass dort die rechtsfähigen Personengesellschaften explizit zu dem Kreis potenzieller Unternehmer eingeordnet werden.
In zwei wegweisenden Urteilen hat der Bundesgerichtshof die praktischen Leitlinien zu dieser Zuordnungsfrage skizziert. Seit der jüngeren Entscheidung vom 30. März 2017 tendiert ein sich nunmehr bestärkt fühlender Teil der Literatur dazu, die Verbraucherfähigkeit sämtlicher BGB-Gesellschaften generell abzulehnen. Dies lädt zu einer näheren Untersuchung ein, bei der die rechtsgeschichtliche Entwicklung der BGB-Gesellschaft zu einem eigenständigen Rechtssubjekt, die Zielsetzung des europäischen Verbraucherschutzrechts, die parallele Handhabung der gleichen Frage im Recht der Wohnungseigentümergemeinschaft sowie die korrekte Anwendung der juristischen Methodik im Fokus stehen.
Die Berücksichtigung von Eingriffsnormen innerhalb des anwendbaren Vertragsrechts Alexander Kronenberg, 12. März 2020
Eingriffsnormen sind international zwingende Normen. Ein Staat erlässt sie, um öffentliche (politische, soziale, wirtschaftliche) Interessen zu verfolgen, die er als besonders wichtig ansieht. Diese Normen sollen deshalb auch für internationale Verträge gelten, die das IPR eigentlich einer anderen Rechtsordnung unterwirft (vgl. Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO).
Mit seinem Urteil vom 18.10.2016 in der Rechtssache Republik Griechenland ./. Grigorios Nikiforidis (C-135/15) hat der EuGH zu zwei umstrittenen Fragen Stellung genommen, die ausländische Eingriffsnormen betreffen. Art. 9 Rom-I-VO erlaubt nicht nur die Anwendung von Eingriffsnormen des Forumsstaates (Abs. 2), sondern sieht auch vor, dass Eingriffsnormen des Staates, in dem die Vertragspflichten erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden kann (Abs. 3). Bis jetzt war nicht klar, wie mit Eingriffsnormen anderer Staaten zu verfahren ist: Erstens, bedeutet die Tatsache, dass Art. 9 Rom-I-VO nur Eingriffsnormen des Forumsrechts und des Erfüllungsortsrechts ausdrücklich anspricht, dass die Anwendung oder Wirkungsverleihung von Eingriffsnormen aus Staaten verboten ist, die weder Forums- noch Erfüllungsstaat sind? Und zweitens, wenn dem so ist, können dann Eingriffsnormen eines anderen Staates zumindest in anderer Weise berücksichtigt werden?
Beide Fragen hat der EuGH in seinem Urteil bejaht. Es ist also möglich, so der Gerichtshof, solche anderen Eingriffsnormen innerhalb des auf den Vertrag anwendbaren nationalen Rechts „als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen“. Der Gerichtshof macht aber (naturgemäß) keine Ausführungen, wie diese Berücksichtigung konkret durchzuführen ist. In der deutschen Literatur werden die zur Rechtslage vor der Rom-I-Verordnung entwickelten Lösungen der deutschen Rechtsprechung meist unkritisch und uneingeschränkt für fortgeltend gehalten.
Der Vortrag soll einige Urteile zur alten Rechtslage beispielhaft genauer darauf untersuchen, ob sie auf das Rom-I-Regime übertragbar sind.
Die Anerkennungsmethode als integraler Bestandteil des europäischen IPR Leonhard Hübner, 3. Februar 2020
Das IPR kennt als primäre Methode die sog. Verweisungsmethode. Nach der klassischen kontinentaleuropäischen IPR-Konzeption setzt sich eine Kollisionsnorm aus Anknüpfungsgegenstand und -punkt zusammen und verweist damit auf die anwendbare Rechtsordnung. Demgegenüber übt das Primärrecht über die Grundfreiheiten und die Freizügigkeit Einfluss auf das IPR aus. Dies zeigt sich in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH im Internationalen Gesellschaftsrecht und im Internationalen Namensrecht, wo der Gerichtshof auf Basis des Primärrechts in Einzelfällen Ergebnisvorgaben aufgestellt hat, ohne auf die (nationalen) Verweisungsnormen einzugehen. Diese "zweite Spur" der Ermittlung des anwendbaren Rechts ist schon vor knapp zwanzig Jahren als Anerkennungsmethode bezeichnet worden. Nach bisheriger Interpretation der Rechtsprechung beschränkt sie sich auf die beiden genannten Rechtsgebiete. Insbesondere sog. "heiße Eisen" aus dem Bereich des kulturell sensitiven Internationalen Familienrechts wie die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen oder die Abstammung bei Leihmutterschaften sollen nach der h.M. nicht von der Anerkennungsmethode erfasst sein. Jedoch wecken verschiedene Entwicklungen wie die EuGH-Entscheidung Coman und die Diskussion um die Minderjährigen-Ehe im deutschen IPR Zweifel, ob die Beschränkung auf diese Rechtsgebiete dem Integrationsgedanken des Primärrechts entspricht. Es stellt sich daher die Frage, wie eine sinnvolle Verzahnung von Kollisionsrecht und primärrechtlichen Ergebnisvorgaben in der kollisionsrechtlichen Dogmatik umzusetzen ist.
Walter Wilburgs bewegliches System – Entdeckung oder typisch nationalsozialistische Rechtslehre? Susanne K. Paas, 5. Dezember 2019
Das bewegliche System ist aus der gegenwärtigen Rechtswissenschaft nicht wegzudenken. Ein Blick in den Staudinger oder Münchener Kommentar verrät, dass es sich bei der Generalklausel des § 138 BGB um einen „klassischen Anwendungsfall“ des beweglichen Systems handele, denn nicht ein Faktor allein erkläre die Sittenwidrigkeit, sondern regelmäßig komme es auf ein Zusammenspiel unterschiedlich stark ausgeprägter Faktoren an. An dem so als besondere Abwägungslehre verstandenen beweglichen System fehlt es in kaum einer Qualifikationsschrift der letzten Jahre, es findet sich beispielsweise bei Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, 2008 oder Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009. Bereits diese Titel machen deutlich, wie verbreitet das bewegliche System in den unterschiedlichen Rechtsbereichen ist. Im Zivilrecht adaptiert man es für Offenbarungspflichten über die Abwicklung gegenseitiger Verträge und die Vertrauenshaftung bis zum Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, zuletzt schlug es die Schadensrechtsgruppe um Helmut Koziol für eine Novellierung des österreichischen und des europäischen Schadensrechts vor. Angesichts dieser breiten Rezeption verwundert es nicht, dass Claus-Wilhelm Canaris erklärte, das bewegliche System sei eine „der wichtigsten ‚Entdeckungen’, die in diesem Jahrhundert auf dem Gebiete der juristischen Methodenlehre und der Rechtstheorie gemacht worden sind“ (JZ 1992, 409 (410)). Der Grazer Rechtsprofessor Walter Wilburg, der 1941 erstmalig sein Konzept eines beweglichen Systems präsentierte, soll einer der „Väter der Wertungsjurisprudenz“ sein. Hinter diesen Bildern von Canaris steht freilich die Vorstellung von Wilburg als einem genialen Konstrukteur, der gegen seine Zeit oder zumindest unabhängig von ihr – immerhin den Jahren des Nationalsozialismus – das bewegliche System entwickelte. Die rechtshistorische Forschung dagegen präsentiert ein anderes Bild: Das bewegliche System sei eine typische nationalsozialistische Rechtslehre, die sich in ihrer Abwägungsaffinität in die Klassifikationsarmut der Zeit einpasse und in ihrer Weite missbrauchsanfällig sei. Damit wäre das bewegliche System nicht die unbedenkliche methodische Neuerung und Wilburg nicht anders als Karl Larenz der unbelastete „Vater der Wertungsjurisprudenz“. Die Dissertation „Walter Wilburgs bewegliches System“ geht diesen beiden Bildern nach und untersucht die Genese des beweglichen Systems bei Wilburg bis zur heutigen Adaption. Zentrale Ergebnisse werden im Vortrag vorgestellt.
Administrative Verbraucherprivatrechtsdurchsetzung - Erscheinungsformen, Gründe und dogmatische Analyse Felix Jansen, 16. Oktober 2019
Was ist Verbraucherschutzrecht? Die Komplexität des verbraucherrechtlichen Diskurses zeigt sich bereits an den divergierenden Definitionen des Rechtsgebietes. Formal ist ein kleinster gemeinsamer Nenner auszumachen: Zumindest die Vorschriften, die ausschließlich für Geschäfte zwischen Verbrauchern und Unternehmern i.S.d. §§ 13, 14 BGB gelten, sind Verbraucherschutzrecht. Sie vermitteln dem Verbraucher besondere Informations-, Widerrufs- und Gewährleistungsrechte. Diese kann er individuell, im Zweifel klageweise durchsetzen.
Die Erfahrung zeigt aber: Der Verbraucher ist rational apathisch, macht seine Rechte nicht geltend, schöpft die Möglichkeit der Individualklage nicht aus. Als Reaktion greift der Gesetzgeber zu zivilprozessualen Instrumenten: Anerkannte Institutionen wie Verbraucherschutzverbände sollen kollektiv schützen; der einzelne Verbraucher rückt in den Hintergrund. Diese Entindividualisierung beschränkt sich nicht auf das Zivilrecht. Auf ihr aufbauend kommt es zur Entprivatisierung des Verbraucherprivatrechts. Insbesondere § 4 Abs. 1a FinDAG zeigt: Verbraucherschutz soll auch administrativ durchgesetzt werden. Die Einhaltung der Gesetze, sogar die der diesbezüglichen Rechtsprechung wird staatlich beaufsichtigt. Missstände, also Verstöße gegen Gesetz oder Rechtsprechung, erlauben staatliche Eingriffe. Kann der Verbraucher bei der kollektiven zivilprozessualen Rechtsdurchsetzung noch selbst entscheiden, ob er sich etwa der Musterfeststellungsklage anschließt, entscheidet nunmehr die Behörde.
Die zivilrechtliche Ausgestaltung des Verbraucherschutzes ist nicht zwingend. In Deutschland hat sie indes Tradition und spiegelt sich im Staats- und Wertgefüge wider. Ihre nunmehrige Durchbrechung wirft – insbesondere zu § 4 Abs. 1a FinDAG – drängende Fragen auf. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht soll einschreiten, wenn ein Unternehmen eine BGH-Entscheidung über den Einzelfall hinaus nicht berücksichtigt – stellt das nicht eine unzulässige „Vergesetzlichung“ der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar? Ist es rechtsstaatlich vertretbar, dass die Exekutive über die Auslegung von Privatrecht entscheidet? Was passiert, wenn ein Unternehmen gegen eine Maßnahme der Aufsichtsbehörde Klage erhebt? Wird der Verbraucher seiner Selbstbestimmung beraubt, wenn er nicht mehr selbst entscheiden kann, ob und wie er seine Rechte durchsetzt?
Unternehmenskauf und Gewährleistungsausschluss Alexander Morell, 26. September 2019
Der BGH hat letztes Jahr erstmalig unter neuem Schuldrecht über den Unternehmenskauf entschieden. Er zieht dabei in Anknüpfung an seine alte Rechtsprechung den Anwendungsbereich des Gewährleistungsrechts eng, um den Weg für die durch Gewährleistungsrecht gesperrten Institute der c.i.c und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage frei zu machen. Im Urteil erreicht er dieses Ziel, indem er die Anwendbarkeit der Sachmängelgewährleistung beim share deal vom Kauf des "Unternehmens als Ganzes" abhängig macht. Das Urteil stellt die alte Frage neu, ob es durch eine wirtschaftliche Sichtweise gerechtfertigt ist, den Gerichten mit der Anwendbarkeit der Billigkeitsrechtsinstitute maximale Flexibilität zu gewährleisten, oder ob der BGH die Vertragsfreiheit der Parteien unzulässig verkürzt, indem er ihren Vertrag den praktisch kaum abbedingbaren Instituten der c.i.c. und der Geschäftsgrundlage unterstellt. Der Vortrag legt zur Kritik der Vertragsauslegung des BGH die Parteiinteressen offen, prüft die dogmatische Konstruktion des Urteils und argumentiert, dass die Sachmängelgewährleistung beim share deal unabhängig davon anzuwenden ist, ob das Unternehmen "als Ganzes" verkauft wurde.
Zu den (kapital-) gesellschaftlichen Herausforderungen des demographischen Wandels: Die GmbH und ihr demenziell erkrankter Gesellschafter Maximilian Rudolphi, 17. Juni 2019
Statistisch betrachtet ist ein hohes Lebensalter der Hauptrisikofaktor für Demenz. Zeitgleich mit dem voranschreitenden demographischen Wandel der deutschen Gesellschaft steigt das Höchstarbeitsalter – insbesondere in der Selbständigkeit – immer weiter an. Das Risiko demenziell zu erkranken trifft daher zunehmend auch Menschen mitten im Berufsleben und in Verantwortungspositionen, wie etwa Gesellschafter in Unternehmen, die in der Rechtsform der GmbH organisiert sind, Deutschlands häufigster Kapitalgesellschaft.
Die Rechtsordnung reagiert auf das – für demenzielle Erkrankungen charakteristische – Nachlassen der Verstandeskraft zum einen mit der Geschäftsunfähigkeit gem. §§ 104 S. 2, 105 BGB und zum anderen mit der Betreuerbestellung gem. §§ 1896 ff. BGB. Dieses Nebeneinander kann im Rechtsverkehr zu ganz erheblichen Problemen führen, schließlich steht damit potenziell die Wirksamkeit jeder Willenserklärung des Betroffenen in Frage. Der Vortrag setzt sich mit der Situation einer GmbH auseinander, deren Gesellschafter demenziell erkrankt ist. Dabei werden Schlaglichter auf die bisher eher wenig beachteten Herausforderungen geworfen, welche sich der Gesellschaft selbst vor, während und nach erfolgter Betreuerbestellung für einen ihrer Gesellschafter stellen.
Menschenrechtsschutz durch Unternehmenskommunikation Rafael Harnos, 7. Mai 2019
In deutschen und internationalen Fachkreisen wird unter dem Etikett „Corporate Social Responsibility“ (CSR) darüber diskutiert, wie privatwirtschaftliche Unternehmen zur Stärkung der Menschenrechte beitragen können. Die bisherigen Befunde sind ernüchternd. Namentlich die Möglichkeit einer Haftungssegmentierung im Konzern und in der Vertriebskette führt dazu, dass Unternehmen für etwaige Sorgfaltspflichtverstöße und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Vor diesem normativen Hintergrund widmet sich der Vortrag der Frage, ob der Menschenrechtsschutz durch Unternehmenskommunikation gestärkt werden kann. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das sog. CSR-Reporting, also die auf nichtfinanzielle Aspekte bezogene Berichterstattung. Mit Hilfe einer solchen Berichterstattung machen die Unternehmen deutlich, dass sie als Teil eines komplexen sozialen Systems agieren und bereit sind, ihre Verantwortung für die Menschenrechte und die Umwelt zu übernehmen.
Das CSR-Reporting wird verbreitet als „Greenwashing“ abgetan, das als eine reine Marketingmaßnahme das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit aufpolieren soll, statt tatsächlich zum Menschenrechtsschutz beizutragen. Ein solcher Ansatz verkennt, dass das CSR-Reporting durchaus eine normative oder soziale Bindung erzeugen kann: Berichtet ein Unternehmen, dass es bestimmte menschenrechtsstärkende Aktivitäten ergreifen und menschenrechtsverletzende Maßnahmen unterlassen wird, macht es der breiten Öffentlichkeit ein Versprechen. Kann sich die Öffentlichkeit auf dieses Versprechen verlassen und dem Unternehmen vertrauen, wird sie eher geneigt sein, mit dem Unternehmen zu interagieren. Die als Akt der Selbstdarstellung gedachte Berichterstattung kann zu einer Selbstbindung des Unternehmens führen und damit mittelbar zu einem erhöhten Menschenrechtsschutzniveau beitragen. Im Vortrag werden die rechtlichen und sozialen Instrumente analysiert, die eine solche Bindung erzeugen, und die mit dem Vertrauensbruch einhergehenden Folgen.
Schluss mit Ausschlussfristen? Stephan Seiwerth, 8. April 2019
Nach einer in fast allen Formulararbeitsverträgen verwendeten Klauselformulierung verfallen „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden“. Bei solchen Ausschlussfristen handelt es sich um Fristen, innerhalb derer ein Recht geltend gemacht werden muss. Wenn das nicht geschieht, soll ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Gläubigers das Recht ohne weitere Erklärung nach Ablauf der dreimonatigen Frist erlöschen. Das BAG hat unter Zustimmung der ganz herrschenden Meinung auch nach Einbeziehung des Arbeitsrechts in die AGB-Kontrolle und nach Einführung des unabdingbaren Mindestlohnanspruchs seine großzügige Haltung bei der Klauselkontrolle beibehalten. Der Vortrag beleuchtet das Spannungsverhältnis von Ausschlussfristen zur bürgerlich-rechtlichen Verjährung und legt die Maßstäbe der allgemeinen zivilrechtlichen AGB-Kontrolle an.
Die Bedeutung von Online-Plattformen für Schutz und Durchsetzung privater Rechte Tobias Lutzi, 29. Januar 2019
Aus Sicht des Privatrechts, und des Internationalen Privatrechts im Besonderen, hat das Internet lange Zeit vor allem Lokalisierungs- und Anknüpfungsprobleme aufgeworfen; im Mittelpunkt stand die Anwendung von Regeln, die an physische, leicht zu lokalisierende Tatbestandsmerkmale anknüpfen, auf Sachverhalte, in denen diese Merkmale fehlen. Die Entwicklung weg von statischen Websites, die dem Nutzer untereinander verlinkte Inhalte zum passiven Konsum anbieten, hin zu interaktiven Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter, auf denen Nutzer eigene Inhalte mit anderen Nutzern teilen und darüber in Austausch treten (das sogenannte „web 2.0“) wirft vor allem mit Blick auf das faktische Regulierungsmonopol der Plattformbetreiber eine zusätzliche Herausforderung auf. Aus der Perspektive des IPR tritt mit ihr neben das klassische Problem der horizontalen Koordination zwischen verschiedenen nationalen Normgebern ein Problem der vertikalen Koordination zwischen öffentlichen und privaten Normgebern.
Der Vortrag möchte aufzeigen, inwieweit das existierende Instrumentarium des IPR es erlaubt, diesen neuen Herausforderungen zu begegnen, und damit zugleich einen Anknüpfungspunkt für die Betrachtung desselben Phänomens in anderen Teilen des Privatrechts bieten.
Autonomie bei der Eltern-Kind-Zuordnung - das deutsche und das französische Abstammungsrecht im Vergleich Henrike von Scheliha, 10. Dezember 2018
Gesellschaftlich relevante Beziehungen beruhen immer stärker auf privatautonom gestalteten Willensverhältnissen. Das Abstammungsrecht des BGB und des französischen Code Civil folgt bei der Festlegung der Anknüpfungspunkte für die Mutter- bzw. Vaterschaft den Prinzipen der Statussicherheit, -beständigkeit, und -klarheit und ist vorwiegend als zwingendes Recht ausgestaltet. Statt einer obligatorischen Prüfung der genetischen Verbindung für eine gesetzliche Elternzuordnung knüpfen beide Rechtsordnungen an griffige, leicht feststellbare Elemente an. Dabei erlauben jeweils einige gesetzliche Vorschriften eine Einwirkung auf die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung durch den geäußerten oder konkludenten Willen.
Im Bereich der familienrechtlichen Statuszuordnung ist jedoch fraglich, ob der freie Wille vollends bestimmen kann: Die Privatautonomie als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit basiert auf der Idee, dass die Beteiligten an einer solchen Regelung auf einer Stufe stehen und gemeinsam eine einvernehmliche Lösung aushandeln. Inwieweit lassen das deutsche und das französische Recht eine privatautonome Gestaltung der Eltern-Kind-Zuordnung zu und wo werden jeweils die Grenzen gezogen? Und aus welchen Gründen ergeben sich die bemerkenswerten Unterschiede hinsichtlich der Beschränkungen der Wirkung einer autonomen Entscheidung für oder gegen den familiären Status?
Die Musterfeststellungsklage nach §§ 606 ff. ZPO – eine kritische Würdigung Bernd Scholl, 5. November 2018
Zum 1. November 2018 tritt das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft. Damit wird erstmals im deutschen Recht ein Instrument des kollektiven Rechtsschutzes für allgemeine zivilrechtliche Streitigkeiten eingeführt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat bereits angekündigt, mit Inkrafttreten des Gesetzes in Zusammenarbeit mit dem ADAC vor dem OLG Braunschweig die erste Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG zu erheben. Kollektiver Rechtsschutz ist sinnvoll, um Gerichte von der Verhandlung und Entscheidung zahlreicher gleichgerichteter Individualprozesse zu entlasten und das "rationale Desinteresse" von Geschädigten an der Geltendmachung ihrer Ansprüche zu senken. Dadurch kann auch die Präventionsfunktion der Haftung gestärkt werden. Die Musterfeststellungsklage ist allerdings nur auf Feststellung bestimmter Tatsachen- oder Rechtsfragen gerichtet, nicht auf Leistung. Daher wird ihre Effektivität in Zweifel gezogen. Fraglich ist auch, warum lediglich Verbraucher ihre Ansprüche zur Eintragung in das Klageregister anmelden können. Kritisch zu betrachten sind die Beschränkung der Klagebefugnis auf ausgewählte qualifizierte Einrichtungen, die Regelung zu konkurrierenden Musterfeststellungsklagen und die Einschränkung des rechtlichen Gehörs der angemeldeten Verbraucher.
Vorschuss und Aufwendungsersatz für die schuldrechtliche Selbstvornahme David Markworth, 10. Oktober 2018
Bei der leistungsstörungsrechtlichen Selbstvornahme (§ 536a Abs. 2 BGB, § 637 BGB i.V.m. § 634 Nr. 2 BGB, § 651k Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 651i Abs. 3 Nr. 2 BGB und neuerdings § 439 Abs. 3 S. 1 BGB) wird der Gläubiger dazu ermächtigt, einen Mangel der Leistung selbst zu beseitigen oder durch einen Dritten beseitigen zu lassen. Da der Schuldner bei einer Selbstvornahme die Mangelbeseitigung aus der Hand gibt, muss er vor überzogenen Ersatz- oder Vorschussansprüchen des Gläubigers geschützt werden. Deshalb können Vorschuss und Aufwendungsersatz jeweils nur für die zur Mängelbeseitigung (voraussichtlich) erforderlichen Aufwendungen verlangt werden (vgl. §§ 439 Abs. 3 S. 1, 536a Abs. 2, 637 Abs. 1, 2 und 651k Abs. 2 S. 1 BGB).
Eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung der Selbstvornahmetatbestände legt nahe, das Merkmal der Erforderlichkeit objektiv und ex post zu bestimmen. Demgegenüber wird in Rechtsprechung und Literatur heute ganz überwiegend die ex-ante-Perspektive eines vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Gläubigers angelegt. Der Gläubiger soll sowohl für im Ergebnis fruchtlose als auch für im Nachhinein unverhältnismäßig aufwändige oder überteuerte Aufwendungen Ersatz verlangen können, solange ihn diesbezüglich kein Verschulden trifft. Das mit der Selbstvornahme verbundene Kostenrisiko wird mithin auf den Schuldner verlagert. Der Vortrag wird zeigen, dass diese Sichtweise zu undifferenziert ist und die Selbstvornahme zu einem Instrument der Sanktionierung einer vermeintlichen Vertragsuntreue des Schuldners degradiert.
Rückwirkende Parteivereinbarung und Schutz Dritter - zugleich ein Beitrag zur Schärfung des Begriffs vom Vertrag zulasten Dritter Lukas Rademacher, 5. Juli 2018
Manchmal bedauern Menschen, die Vergangenheit nicht ändern zu können. Rechtlich kann ihnen diese Gestaltungsmöglichkeit jedoch gelegentlich offenstehen. Sowohl das materielle Recht als auch das Kollisionsrecht kennen rückwirkende Parteivereinbarungen. Damit ändern Parteien die Rechtslage für die Vergangenheit. Das ist in einer an der Privatautonomie ausgerichteten Rechtsordnung unproblematisch, soweit von dieser Gestaltung allein diejenigen betroffen sind, die an der Vereinbarung mitgewirkt haben. Konflikte entstehen, wenn zugleich Drittinteressen berührt sind. Verträge zulasten Dritter, so heißt es oft undifferenziert, seien verboten.
Anhand von Beispielen aus dem internationalen und materiellen Schuld-, Sachen-, Familien- und Erbrecht gibt der Vortrag einen Überblick zu den Anwendungsfällen rückwirkender Parteivereinbarungen mit Drittbezug. Auf dieser Grundlage sollen allgemeine Grundsätze und Grenzen drittbelastend rückwirkender Parteivereinbarung skizziert werden. Dabei erweist sich das Verbot des Vertrags zulasten Dritter als präzisierungsbedürftig.
Die Technik hinter Bitcoins und deren grundlegende rechtliche Charakterisierung Oliver Froitzheim, 28. Mai 2018
Bitcoins und andere sog. Kryptowährungen sind seit einiger Zeit Gegenstand der Presseberichterstattung. Hierbei werden vor allem wirtschaftliche Unsicherheiten bei diesen behandelt. Dies verdeckt jedoch, dass auch auf anderen Ebenen Unsicherheiten bestehen. So ist auf rechtlicher Ebene bislang völlig ungeklärt, welchen Platz Kryptowährungen im Zivilrecht einnehmen. Es ist schon grundlegend zu fragen, ob Einheiten der jeweiligen Währung ein absolutes oder relatives Recht darstellen. Wäre es kein Recht, wären diese Einheiten bloß faktische Zustände. Zur Beantwortung dieser und anderer Fragen ist eine genaue Kenntnis der grundlegenden Technik hinter Bitcoin und anderen Kryptowährungen nötig. Diese unterscheidet sich maßgeblich von den bereits bekannten Phänomenen, die die Computerwelt bisher hervorgebracht hat. Aus diesem Grund wird dieser Vortrag zuallererst die Technik behandeln. Auf das hierdurch vermittelte technische Grundverständnis wird der Referent sich in zukünftigen Werkstattberichten beziehen.
Entwicklungslinien des dispositiven Rechts und Perspektiven der AGB-Kontrolle Stephan Seiwerth, 12. April 2018
Der Befund, dass das alte Privatrecht von struktureller Gleichheit der Handelnden ausging, die selbstbestimmt untereinander agierten, während das moderne Privatrecht vielfach das Gegenteil struktureller Ungleichheit zugrunde zu legen scheint, zeigt sich deutlich in dem Wandlungen unterworfenen Verständnis von dispositivem Recht. Im Hintergrund stehen Vorverständnisse vom Verhältnis der Privaten zueinander und zum Staat. Je nach Perspektive ist etwas anderes Normalfall. Darauf aufbauend wurde auch bei unverändertem positiven Recht eine unterschiedliche Widerstandskraft dispositiven Rechts gegenüber privater Gestaltung angenommen. Prominenteste Ausprägung ist die erst gar nicht, dann richterlich, schließlich kodifiziert vorgenommene Inhaltskontrolle von AGB.
Ausgehend von dem dogmengeschichtlichen Strukturwandel in der Vergangenheit wird der Vortrag Perspektiven eines zukünftigen Strukturwandels im Verständnis dispositiven Rechts und der AGB-Kontrolle beleuchten. Eine Rückbesinnung auf die freiheitsdienliche, vertragshelfende Funktion dispositiven Rechts könnte die Berücksichtigung kompensatorischer Vertragsgestaltungen bei der AGB-Kontrolle bedingen. Als neuer Impuls könnten rechtsökonomische Erkenntnisse mehr unser Verständnis von dispositivem Recht und seine Anwendung prägen. Gegenwärtig stehen die Zeichen indes mehr in Richtung der Verfestigung des bestehenden Vorverständnisses von strukturellen Ungleichgewichtslagen zwischen Verbraucher und Unternehmer, bei dem dispositives Recht vor allem als Hilfe für die richterliche Angemessenheitskontrolle von Verträgen verstanden wird. Ausprägung dessen sind Bestrebungen, zum einen ein Sonderverständnis von dispositivem Recht im Rahmen der AGB-Kontrolle bei Verträgen zwischen Unternehmern untereinander zu etablieren (Deutscher Juristentag 2012) und zum anderen Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes von Verbrauchern gegen AGB auszuloten (Deutscher Juristentag 2018).
Das Konkretisierungserfordernis in § 142 ZPO: Konsequenz oder Relativierung der Privatautonomie? Alexander Morell, 8. Januar 2018
Im deutschen Zivilprozess kann der tatsächliche Zugriff auf Urkunden und Unterlagen den Prozess entscheiden, obwohl § 142 ZPO seinem Wortlaut nach eine Anordnung der Urkundsvorlage auch gegen die nicht beweisbelastete Partei unter relativ anspruchslosen Voraussetzungen zu erlauben scheint. Ein Grund für die zum Teil beklagte «Totgeburt» des § 142 ZPO ist, dass Rechtsprechung und weite Teile der Lehre eine konkrete Bezugnahme zur Voraussetzung einer Anordnung nach § 142 ZPO machen, wenn sich nur die nicht beweisbelastete Partei auf die Urkunde bezogen hat. Diese enge Auslegung wird mit dem Satz begründet, dass niemand gehalten sei, dem Gegner das Material zu verschaffen, das dieser für den Prozesserfolg benötigt. Der nemo-tenetur-Grundsatz im Prozessrecht folge seinerseits über den Beibringungsgrundsatz mittelbar aus der grundrechtlich geschützten Privatautonomie.
Der Vortrag wird argumentieren, dass das Erfordernis einer derart qualifizierten Bezugnahme nicht nur keine Stütze im Wortlaut und der Gesetzgebungsgeschichte findet, sondern vor allem auch teleologisch nicht überzeugt: Es nimmt dem § 142 ZPO einen relevanten Anwendungsbereich und kann sich gerade nicht auf die Privatautonomie stützen, sondern führt zu einer Relativierung derselben. Eine Anordnung nach § 142 ZPO, auch gegen die nicht beweisbelastete Partei, setzt, wie jede Beweisaufnahme nicht mehr als substantiierten, schlüssigen Sachvortrag voraus.
Die Ordnung des Kredits. Wahrnehmung und Regulierung privater Darlehensgeschäfte in Policeynormen und Kameralistik des Alten Reiches (ca. 1500 bis 1750) Carsten Fischer, 8. Dezember 2017
Zins und Wucher gehören seit der Antike zu den klassischen juristischen Problemfeldern. Die Kollision von striktem kirchenrechtlichem Zinsnahmeverbot mit tatsächlich vorhandenen Kreditierungsbedürfnissen brachte im Laufe der Jahrhunderte eine letztlich kaum noch zu überschauende Vielzahl von juristischen und moraltheologischen Abhandlungen hervor, die die Vereinbarkeit verzinslicher Gelddarlehen und ihrer funktionalen Äquivalente mit kirchlichem und weltlichem Recht beurteilten. Das rechtshistorische Habilitationsprojekt „Die Ordnung des Kredits“ wird nicht diesen Fachdiskursen nachgehen, sondern vielmehr die Perspektive des weltlichen Gesetzgebers auf Zins und Wucher einnehmen: Am Beispiel der Gesetzgebung des Alten Reiches soll nachvollzogen werden, wie und warum Obrigkeiten in der Frühen Neuzeit Kreditgeschäfte unter Privaten regulierten. In einem zweiten Untersuchungsansatz wird daneben das zeitgenössische Schrifttum der Kameralwissenschaften analysiert, also der Vorläufer u. a. moderner Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften. Ihre Erörterungen der richtigen, und das hieß im Verständnis der Kameralisten: wirtschaftlich erfolgreichen Staatswirtschaft boten Obrigkeiten und ihren Funktionsträgern Entwürfe zur Gestaltung der fürstenstaatlichen Ökonomien an. Damit waren sie für lange Zeit das wissenschaftlich-nationalökonomische Hintergrundrauschen obrigkeitlicher Wirtschaftspolitik. Die Zusammenschau von Reichsgesetzgebung und kameralwissenschaftlichen Äußerungen soll dazu dienen, am Beispiel der frühneuzeitlichen Ordnung des Kredits die Entwicklung von Regulierungskonzepten besser zu verstehen, und damit auch die Anfänge moderner Traditionen der Wirtschaftsregulierung.
Die Legal Judgment Rule: Desiderat oder Phantom des Gesellschaftsrechts? Adam Sagan, 16. November 2017
Die Vorstandmitglieder einer Aktiengesellschaft haben bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 I 1 AktG). Zu diesen Sorgfaltspflichten zählt auch die sog. Legalitätspflicht. Sie verpflichtet die Vorstandsmitglieder dazu, die für die Gesellschaft geltenden Gesetze einzuhalten. Verstoßen sie gegen diese Pflicht, haften sie der Gesellschaft auf Schadenersatz (§ 93 II AktG). Was aber gilt, wenn die Rechtslage unsicher und die gesetzlichen Pflichten der Aktiengesellschaft unklar sind? Kann sie die Vorstandsmitglieder auch in diesem Fall in Regress nehmen, wenn sich erst nachträglich ein Gesetzverstoß herausstellt? Bei wirtschaftlichen Fehlentscheidungen kann der Vorstand seine Haftung nach Maßgabe der Business Judgment Rule abwenden (§ 93 I 2 AktG). Gilt das auch bei rechtlichen Fehlentscheidungen? Der Vortrag geht diesen Fragen nach und diskutiert eine Legal Judgment Rule, die den Vorstand vor einer Haftung bei Handeln auf unsicherer Rechtsgrundlage schützt.
Die mitgliedschaftliche Treupflicht - Generalklausel des Gesellschaftsrechts oder „Zauberformel“? Matthias Reidt, 1. Juni 2017
Kaum ein durch die Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut kann auf eine derartige Erfolgsgeschichte zurückblicken wie die mitgliedschaftliche Treupflicht. Flexibel einsetzbar und kontextspezifische Lösungen ermöglichend hat sich die Treupflicht rechtsformübergreifend als zentraler Rechtssatz des deutschen Gesellschaftsrechts fest etabliert. Das Narrativ einer gegenseitigen Rücksichtnahme- und Loyalitätspflicht, die in den Fällen eine Lösung verspricht, in denen Gesetz und Gesellschaftsvertrag keine Regelung bereit halten, wirkt aus vertragsrechtlicher Perspektive sowie intuitiv überzeugend. Aktuelle Fälle belegen, dass der Treupflichtgedanke auch heute Konjunktur hat (II ZR 84/13; II ZR 342/14; II ZR 275/14).
Kehrseite ist allerdings die Konturlosigkeit der Treupflicht, die im Einzelfall stets der Konkretisierung in der Anwendung bedarf. Aus diesem Grund wird die Treupflicht im positiven Sinne oft als Generalklausel charakterisiert. Kritiker halten die Treupflicht aufgrund ihrer Konturlosigkeit allerdings für eine „Zauberformel“ (Flume) bzw. ein „Allerweltsargument“ (Thiessen) und fordern eine höchst restriktive Anwendung oder gar die Aufgabe des Treupflichtgedankens als „verfehltes Denkmuster“ (Jabornegg). Der Vortrag will der Grundsatzfrage nachgehen, ob die mitgliedschaftliche Treupflicht berechtigterweise einen festen Platz in der Dogmatik des Gesellschaftsrechts einnimmt oder ob der Topos Treupflicht nur ein begriffliches Sammelbecken für allgemeine Rechtsinstitute und -prinzipien - wie z.B. der ergänzenden Vertragsauslegung, Geschäftsgrundlage, etc. - beschreibt und gegebenenfalls aufzugeben wäre. Dabei werden folgende Fragen aufgeworfen: Welche Funktionen hat die Treupflicht und lassen sich diese systematisieren? Welche Kriterien sind maßgeblich für die Konkretisierung der Treupflicht? Welche Rolle nimmt der Rechtsanwender bei der Konkretisierung der Treupflicht ein? Wie ist der derzeit zu verzeichnende Umgang mit der Treupflicht in der Praxis zu bewerten?
Accounting Judgement Rule: Wahlrechte und „Ermessensspielräume“ im Bilanzrecht und die Business Judgement Rule Moritz Pöschke, 19. April 2017
Bilanzen erfüllen in vielen Gebieten unserer Rechtsordnung eine wichtige Funktion. Bei der Arbeit mit ihnen ist jedoch Vorsicht geboten: Bilanzen enthalten nur vermeintlich sichere Größen; sie entziehen sich regelmäßig einer objektiven Einordnung als richtig oder falsch. Denn einerseits gewährt das Bilanzrecht dem Bilanzierenden vielfach Wahlrechte, andererseits basiert die bilanzielle Darstellung häufig auf Einschätzungen und Prognosen des Bilanzierenden. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sind die für die Bilanzierung zuständigen Gesellschaftsorgane dazu berufen, bei der Nutzung dieser Spielräume zu entscheiden, welche Darstellung zur Erreichung der unternehmenspolitischen Ziele gewählt werden soll. Diese Entscheidung kann in einem Spannungsverhältnis zu den bilanzrechtlichen Vorgaben stehen und für die Organmitglieder auch haftungsrechtlich relevant werden. Denn sie haften der Gesellschaft gegenüber möglicherweise für Schäden, die dieser durch eine rechtswidrige oder unzweckmäßige Bilanzierung entstehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, in welchem Umfang den zuständigen Organen bei Bilanzierungsentscheidungen ein unternehmerischer Ermessensspielraum zusteht, der durch die Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) geschützt wird.
Die Trichotomie von Sein, Sollen und Wollen Marco Staake, 26. Januar 2017
Normative Sätze und Aussagen über Tatsachen haben eine unterschiedliche Qualität. Tatsachenaussagen beschreiben. Sie sind entweder wahr oder falsch. Normen hingegen sind Sollensvorschriften, die ein Verhalten gebieten, verbieten oder erlauben. In seiner Schrift „A Treatise of Human Nature“ (1738) hat David Hume erstmals darauf hingewiesen, dass sich der Übergang von deskriptiven auf normative Aussagen und somit die Ableitung des Sollens aus dem Sein logisch nicht begründen lasse. Alle Versuche, „Humes Gesetz“ und die von ihm behauptete „Dichotomie von Sein und Sollen“ zu widerlegen, sind seither erfolglos geblieben. Das Normative ist allerdings kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um bestimmte Zustände herbeizuführen oder zu vermeiden. Sein und Sollen sind daher funktional miteinander verknüpft. Hierfür bedarf es aber notwendig einer transformativen Entscheidung, die weder im Sein noch im Sollen selbst liegen kann. Das Sollen wird nur zur Konsequenz des Seins, weil diese Konsequenz gewollt ist. Das Wollen stellt neben dem Sein und Sollen eine dritte Kategorie dar, durch die die „Dichotomie von Sein und Sollen“ gleichzeitig bestätigt und überwunden wird. Zielstellung des Vortrages ist es, diese „Trichotomie von Sein, Sollen und Wollen“ näher darzulegen. Dabei soll insbesondere auch aufgezeigt werden, dass nicht jedes, sondern nur das auf Werte gegründete Wollen nach Normierung strebt und welche Auswirkungen die Wertabhängigkeit des Sollens auf die Normbegründung hat.
Haftung und Versicherung bei Gefälligkeit unter Nachbarn Stefan Witschen, 15. Dezember 2016
Die Haftung für Schäden, die bei der Erbringung unentgeltlicher Leistungen im Rahmen sogenannter Gefälligkeiten verursacht werden, ruft seit langem kontroverse Stellungnahmen hervor. Im Zentrum steht regelmäßig die Frage, ob die Haftung im Einzelfall auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist. Dabei wird vielfach berücksichtigt, ob eine Abwälzung des Schadens auf einen Haftpflichtversicherer in Betracht kommt. Das Urteil des VI. Zivilsenats des BGH vom 26.4.2016 – VI ZR 467/15 bietet Gelegenheit für eine kritische Bestandsaufnahme. Das im konkreten Fall schadensstiftende Bewässern des Gartens für den abwesenden Nachbarn stellt ein typisches Beispiel für alltägliche Gefälligkeiten dar, die im Rechtsstreit enden.
Scheitert gute Verhandlungsführung an der AGB-Kontrolle? Thomas Ackermann, 26. Oktober 2016
Einst hieß es, dass die Vertragspartner selbst am besten wissen, was gut für sie ist, und eine Bestätigung der Vertragsfreiheit im Markt für eine angemessene Allokation der volkswirtschaftlichen Ressourcen sorge. Ob deutsche Gerichte dem zustimmen würden, erscheint längst zweifelhaft. Daher gab das BMJ kürzlich ein Forschungsprojekt mit der Fragestellung in Auftrag, ob die Inhaltskontrolle von AGBen im unternehmerischen Geschäftsverkehr einer Reform bedürfe. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse versucht Thomas Ackermann am Beispiel des Forderungskaufs aufzuzeigen, ob geschickte Vertragsgestaltung nicht bereits de lege lata einen Ausweg aus der bevormundenden Rechtsprechung bietet. Im Anschluss zeigt er auf, inwieweit sich die neuen Erkenntnisse der Verhandlungstheorie (wie z.B. das Harvard Konzept) mit der Formel der Rechtsprechung zur Annahme von ausgehandelten und damit von der Inhaltskontrolle ausgenommenen Klauseln decken und welche Konsequenzen daraus für eine mögliche Neuregelung gezogen werden sollten.
Die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates - Ein Ansatz zur Bewältigung von Zielkonflikten zwischen Kartellrecht und Nachhaltigkeit Daniel Könen, 20. Juli 2016
Die Judikatur zur europarechtlichen Qualifikation der Tätigkeit der öffentlichen Hand als hoheitlich oder wirtschaftlich ist in Anbetracht sensibler mitgliedstaatlicher Belange und unterschiedlicher Rechtstraditionen unübersichtlich und ohne feste Bezugspunkte. Hinter dieser terminologischen Abgrenzung verbirgt sich der Grundkonflikt, wie sich das Kartellrecht als Wirtschaftsprivatrecht gegenüber anderen, im Ausgangspunkt meist öffentlich-rechtlich wahrgenommenen Allgemeininteressen wie dem Klimaschutz verhält, wenn die staatliche Betätigung irgendeinen Marktbezug aufweist. Soweit wettbewerbspolitische Wertungen keinen normativen Niederschlag gefunden haben, führt die durch die Rechtsprechung vorgenommene Verengung kartellrechtlicher Tatbestände zu nicht hinzunehmender Rechtsunsicherheit. Der Vortrag präsentiert daher ein systemgerechtes Modell, anhand dessen die wirtschaftliche Betätigung des Staates beurteilt werden sollte.
§ 476 BGB: Rückwirkungs- oder Grundmangelvermutung? Bernd Scholl, 10. Juni 2016
Über die Auslegung des § 476 BGB zur Beweislast für einen Sachmangel beim Verbrauchsgüterkauf herrscht nahezu seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2002 Streit. Dem europäischen Recht wurde dabei bislang kaum Beachtung geschenkt. Dies hat sich mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Faber (Urteil vom 4.6.2015 - C-497/13) grundlegend geändert. Überwiegend wird aus der Entscheidung gefolgert, dass die umstrittene Rechtsprechung des BGH, der § 476 BGB als bloß in zeitlicher Hinsicht relevante "Rückwirkungsvermutung" versteht, gegen die Richtlinie verstoße. Es bleiben aber Zweifel, ob die ebenso knappen wie abstrakten Ausführungen des EuGH diese Einschätzung rechtfertigen. Unklar ist auch, welche Möglichkeiten der Verkäufer hat, um die Vermutung des § 476 BGB abzuwenden. Als Anknüpfungspunkte kommen insoweit insbesondere die in § 476 a.E. BGB genannten Ausschlusstatbestände und der in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehene Beweis des Gegenteils in Betracht. Der Vortrag beruht auf einem gemeinsamen Aufsatz von Adam Sagan und Bernd Scholl, der in Kürze in der Juristen-Zeitung erscheinen wird.
Die Offenkundigkeit der Stellvertretung im Spiegel nicht-legislativer Kodifikationen – zugleich ein Bericht über die Arbeit an einem Kommentar zum Europäischen Vertragsrecht Lukas Rademacher, 18. April 2016
Sämtliche Rechtsordnungen unterscheiden zwischen zwei Grundtypen der Stellvertretung. Bei der unmittelbaren Stellvertretung treffen die Folgen des Vertreterhandelns allein den Geschäftsherrn, während der Intermediär in Fällen der mittelbaren Stellvertretung selbst gegenüber dem Dritten gebunden und berechtigt ist. In den nationalen Rechtsordnungen wie in den nicht-legislativen Regelwerken stehen sich jedoch unterschiedliche Ansätze gegenüber, wie die Grenze zwischen beiden Konstellationen zu ziehen ist, welches Offenkundigkeitskriterium also gilt. Daran knüpft die Folgefrage an, ob und in welchem Umfang auch in Fällen mittelbarer Stellvertretung Rechtsbeziehungen zwischen dem Geschäftsherrn und dem Dritten entstehen. Der Vortrag geht dem Offenkundigkeitsgrundsatz des Stellvertretungsrechts vor dem Hintergrund der europäischen und internationalen Referenztexte (insbesondere PECL, PICC, und DCFR) nach und möchte klären, welcher Regelungsvorschlag die juristisch überzeugendste Lösung bietet. Er exemplifiziert damit die Arbeit an einem Kommentar zum Europäischen Vertragsrecht, der im nächsten Jahr erscheinen wird.
Eine deutsche Geschlechterquote für die Europäische Aktiengesellschaft Adam Sagan, 11. Januar 2016
Ab dem 1. Januar 2016 gilt für den Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat börsennotierter und paritätisch mitbestimmter europäischer Aktiengesellschaften (Societas Europaea/SE) mit Sitz in Deutschland eine Geschlechterquote von 30% (§§ 17 Abs. 2, 24 Abs. 3 SEAG n.F). Nach umstrittener, wenngleich vorzugswürdiger Ansicht verstoßen die neuen Vorschriften gegen europäisches Recht, insbesondere gegen die SE-Richtlinie 2001/86/EG, die die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat der SE abschließend regelt. Der Vortrag geht neben dieser Problematik auf die Rechtsfolgen der Richtlinienverletzung ein und beleuchtet die Möglichkeiten und Grenzen einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung, im Einzelnen einer teleologischen Reduktion der deutschen Geschlechterquote für die europäische Aktiengesellschaft (vgl. Sagan, RdA 2015, 255).
Die Präambel als Gestaltungsinstrument Ann-Marie Kaulbach, 8. Dezember 2015
Die Präambel ist ein vertragliches Gestaltungselement, das in der Vertragsurkunde vor § 1 steht. Darin sind typischerweise Motive und Absichten der Parteien und oder der wirtschaftliche Hintergrund des Vertrags niedergelegt. Welche Wirkungen eine solche Erklärung hat, ist unklar. Ob und unter welchen Umständen die Präambel ein sinnvolles Gestaltungselement ist, wird daher unterschiedlich beurteilt. Während manche meinen, die Präambel gehöre zu jedem guten Vertrag, warnen andere vor ihrem Einsatz. Auch die Rechtsnatur der Präambel gilt als ungeklärt. Aussagen dazu erschöpfen sich meist in der Formulierung, die Präambel sei nicht Teil des "operativen" Vertrags. Der Vortrag soll daher die Antworten auf drei Leitfragen geben: Welche Rechtsnatur hat die Präambel? Welche Rechtsfolgen können durch eine Präambel herbeigeführt werden? Und schließlich: Ist die Präambel ein sinnvolles Gestaltungselement?
Die Vollharmonisierung des Privatrechts durch EU-Richtlinien am Beispiel des Ausschlusses gesetzlicher Ansprüche nach § 241a BGB Daniel Ulber, 28. September 2015
§ 241a BGB ist seit jeher eine hoch umstrittene Vorschrift. Der Ausschluss von Ansprüchen des Versenders unbestellter Ware an einen Verbraucher wird vor allem im Zusammenhang mit der Frage problematisiert, ob auch gesetzliche Ansprüche – insbesondere § 985 BGB – ausgeschlossen werden. Der Streit ist nunmehr durch die Verbraucherrechterichtlinie und ihre Umsetzung in § 241a BGB durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. I, S. 3642) wieder neu entbrannt. Der Verbraucherrechterichtlinie liegt anders als noch der Fernabsatzrichtlinie das Konzept der Vollharmonisierung zugrunde. Der Vortrag geht Reichweite und Grenzen des Konzepts der Vollharmonisierung des Privatrechts nach und wendet es auf die Regelung der Versendung unbestellter Waren durch das Unionsrecht an. Auf dieser Grundlage wird die Frage beantwortet, ob ein Verständnis des § 241a BGB, nach dem dieser auch alle gesetzlichen Ansprüche des Versenders ausschließt, unionsrechtskonform ist.
Die Wettbewerbswidrigkeit der Scheinsozietät David Markworth, 7. Mai 2015
Für die anwaltliche Berufsausübung ist das Vertrauensverhältnis zum Mandanten unverzichtbar. Daher irritiert es, dass der Außenauftritt vieler Rechtsanwälte nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Im Gegenteil: Scheinsozien und Scheinsozietäten sind aus der Realität der anwaltlichen Berufsausübung mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Haftungsrechtlich begegnet man diesem Phänomen mit einer sehr weitgehenden, dogmatisch fragwürdigen Rechtsscheinhaftung. Schon seit langem sind Rechtsscheinkonstellationen unter Anwälten aber auch Gegenstand des Werbe- und Wettbewerbsrechts. David Markworth wird – nach einem kurzen Überblick über die Gesamtthematik – erörtern, ob und wie vonseiten des Wettbewerbsrechts darauf zu reagieren ist, dass Anwälte gehäuft als Scheinsozius bzw. Scheinsozietät auftreten. Auch wenn der Anwaltssenat des BGH im Jahr 2012 die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Scheinsozietäten grundsätzlich anerkannt hat, sind bis heute viele Folgefragen ungeklärt. Der Referent verdeutlicht insbesondere, dass das Haftungsrecht nicht das „Allheilmittel“ ist, um den Fortbestand der basalen Vertrauensbeziehung zwischen Anwälten und Mandanten sicherzustellen.
Die Berechnung von Rückwärtsfristen Daniel Effer-Uhe, 21. Januar 2015
Die Berechnung von Rückwärtsfristen taucht in unterschiedlichsten Zusammenhängen auf und stellt die Rechtspraxis immer wieder vor Probleme. So werden z.B. Einladungsfristen für Mitglieder- und Gesellschafterversammlungen rückwärts ab dem Zeitpunkt der Versammlung berechnet. Andere Beispiele sind im Prozessrecht die Schriftsatzfristen des § 132 ZPO oder die Frist zur Anhängigmachung von Folgesachen im Eheverbund (§ 137 Abs. 2 S. 1 FamFG), im Zwangsvollstreckungsrecht die Frist für den Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a Abs. 3 ZPO, im Schuldrecht vertragliche Kündigungsfristen, im Umwandlungsrecht die Frist für die Zuleitung eines Verschmelzungsvertrags an die Betriebsräte nach § 5 Abs. 3 UmwG. Soweit der Gesetzgeber nicht speziell geregelt hat, wie diese Fristen zu berechnen sind, wird verbreitet davon ausgegangen, dass auf Rückwärtsfristen die Fristberechnungsregeln des BGB entsprechende Anwendung finden. Wie diese "entsprechende Anwendung" aber im Einzelfall aussieht, darüber besteht keine Einigkeit, und auch eine Begründung für die Analogie wird nicht oder allenfalls in Ansätzen gegeben. Im Ergebnis führt das zu großer Unsicherheit. So gelangen z.B. für die Zuleitungsfrist des § 5 Abs. 3 UmwG in derselben Fallgestaltung drei verschiedene Kommentare, noch dazu mit identischer Begründung, zu drei verschiedenen Berechnungsergebnissen.
Der fehlerhafte Aufsichtsrat Clemens Höpfner, 11. Dezember 2014
Aktienrechtliche Beschlüsse sind regelmäßig Gegenstand von Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen. Betrifft der Beschluss eine Organbestellung, ist die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft infrage gestellt. Die überwiegende Auffassung erkennt das fehlerhafte, aber in Vollzug gesetzte Bestellungsverhältnis in Anlehnung an die Lehre vom fehlerhaften Verband grundsätzlich für wirksam an und reduziert die Nichtigkeitsfolge von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen auf die Unwirksamkeit ex nunc. Während dies für den „fehlerhaften Vorstand“ weitgehend unbestritten ist, hat der BGH in seinem Urteil vom 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 einer Anwendung der Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat eine Absage erteilt. Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl für nichtig erklärt wird, ist stattdessen für die Stimmabgabe wie ein Nichtmitglied zu behandeln. Clemens Höpfner unterzieht diese Entscheidung einer kritischen Analyse und wird dabei sowohl auf die praktischen Auswirkungen als auch auf die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten von fehlerhaftem Vorstand und fehlerhaftem Aufsichtsrat eingehen.
Mindestlohn und Niedriglohn Christian Picker, 3. Juni 2014
Der "Mindestlohn" dominiert die politische Diskussion seit Jahren. Nunmehr hat die Bundesregierung mit ihrem Entwurf eines "Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie" die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro zum 1.1.2015 beschlossen. Diese aktuelle politische Entwicklung gibt Anlass, noch einmal grundsätzlich über Verfassungskonformität und Funktionalität gesetzlicher Mindestlöhne nachzudenken. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass staatliche Lohnfestsetzung unserer freiheitlichen, marktwirtschaftlich verfassten Rechts- und Wirtschaftsordnung an sich fremd ist und daher besonderer Rechtfertigung bedarf. Denn grundsätzlich ist sie den Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsparteien vorbehalten. Der Vortrag von Christian Picker, Habilitand bei Volker Rieble am Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der LMU, untersucht die unterschiedlichen rechtlichen Konzepte gegen "zu niedrige" Löhne im Arbeitsrecht kritisch. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit sowie der konkreten Ausgestaltung eines einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns.
Gibt es auf jede Rechtsfrage stets nur eine richtige Antwort? Adam Sagan, 14. April 2014
In der anglo-amerikanischen Rechtstheorie wird seit langer Zeit über die – insbesondere von Ronald Dworkin vertretene – These gestritten, nach der jeder Rechtsstreit nur einer einzigen richtigen Entscheidung zugeführt werden kann (one right answer doctrine). Die Debatte ist im Wesentlichen unabhängig von den Eigenheiten des amerikanischen oder englischen Rechts, so dass sich die Problematik gleichermaßen aus der Perspektive des deutschen Rechts stellt. Hier ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sich die richtige Entscheidung eines Rechtsstreits regelmäßig aus einer methodengerechten Auslegung des Gesetzestextes ergibt, mit der eine vom Gesetzgeber bereits vorgegebene Entscheidung im konkreten Einzelfall lediglich reproduziert wird. Diesem „juristischen Determinismus“ stehen zahlreiche Kritiker gegenüber, die bestreiten, dass sich aus dem Gesetzestext eindeutige Vorgaben für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten ableiten lassen. Das Turmgespräch bietet die Gelegenheit zur Diskussion dieser Fragestellung, die nicht nur die juristische Methodenlehre, sondern auch das Spannungsverhältnis zwischen der Gesetzesbindung der Gerichte einerseits und richterlicher Rechtsetzung anderseits berührt. Adam Sagan wird uns mit einem kurzen Impulsreferat in die Thematik einführen. Für eine spannende Diskussion ist somit gesorgt.
Obliegt es Radfahrern, im Straßenverkehr Helm zu tragen? (veröffentlicht in AcP 214 (2014), 387) Alexander Morell, 19. November 2013
Das OLG Schleswig-Holstein hat jüngst (Urteil vom 5.6.2013 – 7 U 11/12) entgegen der herrschenden obergerichtlichen Ansicht entschieden, dass sich ein zwanzigprozentiges Mitverschulden eines Radfahrers, der bei einem Unfall mit einem Auto schwer am Kopf verletzt wurde, allein daraus ergebe, dass der Radfahrer keinen Helm trug. Es bestehe eine allgemeine Obliegenheit für Radfahrer, im Straßenverkehr einen Helm zu tragen. Der Verstoß gegen diese Obliegenheit begründe ein Mitverschulden. Alexander Morell setzt sich kritisch mit dem Urteil des Oberlandesgerichts auseinander. Er verortet das zentrale Problem des Falls bei der Schwierigkeit, die Tatsachen einzuschätzen, die der Bestimmung einer Obliegenheit zu Grunde liegen. Der Referent führt daher beispielhaft vor, wie mit statistischer Informationen zur Gefahr des Radfahrens und wissenschaftlichen Studien zum Schutz durch Helme umzugehen gewesen wäre. Dann führt er auf der Basis dieser Tatsachen die erforderliche Interessenabwägung durch, die mithilfe eines einfachen rechtsökonomischen Ansatzes strukturiert wird. Dieses Vorgehen lässt sich auf die Bestimmung anderer Obliegenheiten übertragen. Es ergibt sich, dass weder die allgemein zugänglichen Statistiken zur Gefahr des Radfahrens noch die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirkung von Helmen noch die rechtsökonomisch strukturierte Interessenabwägung eine Obliegenheit zum Tragen eines Fahrradhelms begründen können.
Gesellschafterinformation - was darf der Gesellschaftsvertrag wie regeln? Simone Evke de Groot, 4. Juni 2013
Informationen sind für die Ausübung von Gesellschafterrechten unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung der Gesellschaft und ihrer Rechtsform unerlässlich (vgl. § 118 HGB, § 51 GmbHG). In der Praxis besteht aus vielfältigen Gründen Anlass zu Satzungsregelungen, die zur Einschränkung der Auskunftsansprüche führen können. Gesellschaftsvertragliche Klauseln bewegen sich ebenso wie individuelle Vereinbarungen hier im Spannungsfeld zwischen Gestaltungsinteresse und Kernbereichsrelevanz bzw. Minderheitenschutz. Simone Evke de Groot zeigt, dass die Rechtsprechung insoweit von Brüchen geprägt ist und auch die jüngst zu Auskunftsansprüchen von Treuhand-Anlegern in Publikumsgesellschaften ergangene BGH-Entscheidung vom 5.2.2013 (II ZR 134/11) keine Klarheit stiftet. Die Referentin löst den Konflikt auf der Grundlage der jeweiligen rechtlichen Position des Gesellschafters und plädiert ausgehend von verschiedenen Klauseltypen für ein an dem Sinn und Zweck des Informations- bzw. Auskunftsanspruchs orientiertes Begriffsverständnis.
Praktikanten- und Volontärverträge - Betriebliche Berufsvorbereitung im Spannungsfeld von Arbeits- und Ausbildungsrecht Karolin Orlowski, 10. Mai 2013
Praktikanten- und Volontärverträge haben in den vergangenen Jahren in der betrieblichen Praxis – nicht zuletzt durch die Diskussion um die „Generation Praktikum“ – erhebliche Bedeutung erlangt. Nach dem Ergebnis empirischer und sozialwissenschaftlicher Untersuchungen werden sie häufig vereinbart, um unter dem Etikett eines vermeintlichen Praktikums oder Volontariats tatsächlich reguläre Arbeitsleistungen gegen geringes oder gänzlich ausgeschlossenes Entgelt einzufordern. Die rechtliche Stellung von Praktikanten und Volontären gilt dabei als weitgehend ungeklärt. Karolin Orlowski zeigt auf, dass die in Rechtsprechung und Schrifttum weit verbreiteten Begriffsdefinitionen im rechtlichen Umgang mit Praktikanten und Volontären nicht weiterhelfen. Ausgehend von den gesetzlichen Regelungen untersucht sie den Status und die Vergütung dieser Personen im Kontext des Arbeits- und Ausbildungsrechts.
Zur Möglichkeit der Übertragung der "Nullhypothese" bei der Beweiswürdigung aus dem Strafverfahren auf das Zivilverfahren Daniel Effer-Uhe, 7. Januar 2013
In der prozessualen Praxis besteht eine Tendenz der Tatsacheninstanzen, Zeugen grundsätzlich Glauben zu schenken. Im Strafrecht herrscht allerdings seit der Entscheidung BGH NJW 1999, 2746 weitgehende Einigkeit, dass das nicht zulässig ist. Dennoch gehen auch im Strafrecht Richter nach wie vor zumindest praktisch eher von der Wahrheit einer Aussage aus, solange sie nicht konkrete Hinweise auf deren Unwahrheit finden; in Zivilsachen, für die die genannte BGH-Entscheidung keine Aussagen enthält, dürfte diese Tendenz noch weiter verbreitet sein.
Der Bundesgerichtshof vertritt in Strafsachen seit dem angeführten Urteil die sogenannte Nullhypothese. Danach ist zunächst von der Unwahrheit einer Aussage auszugehen. Erst wenn diese Ausgangshypothese mit den Fakten nicht mehr in Einklang zu bringen ist, ist sie aufzugeben. Diese Rechtsprechung stellt letztlich eine Umsetzung des wissenschaftstheoretischen Programms des kritischen Rationalismus in die forensische Praxis dar. Allerdings kann die Frage, warum gerade die Nullhypothese (und nicht ihr Gegenteil) als Ausgangshypothese gewählt wird, wissenschaftstheoretisch nicht begründet werden. Der eigentliche Grund für die Wahl der Nullhypothese als Ausgangspunkt dürfte in der strafprozessualen Beweislastverteilung zu sehen sein, die vom Grundsatz „in dubio pro reo“ geprägt ist.
Der Vortrag von Daniel Effer-Uhe geht der Frage nach, inwieweit die dargestellte BGH-Rechtsprechung auf das Zivilprozessrecht übertragbar ist.
Rückforderung schwiegerelterlicher Zuwendungen Anna Leszczenski, 5. Dezember 2012
Wenn Eltern ihre verheirateten Kinder unterstützen, wenden sie regelmäßig zugleich auch ihrem Schwiegerkind Vermögenswerte zu. Lassen sich Kind und Schwiegerkind später scheiden, stellt sich häufig die Frage, ob die Schwiegereltern diese Zuwendung zurückverlangen können. Der BGH hat dies mit seiner Entscheidung vom 3.2.2010 - XII ZR 189/06 (BGHZ 184, 190 = FamRZ 2010, 958) grundsätzlich bejaht und seine seit 1995 geltende Rechtsprechung aufgegeben. Er hält Rückforderungsansprüche der Schwiegereltern aus § 313 Abs. 1 BGB und aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB für möglich. Anna Leszczenski beleuchtet diese Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Einordnung schwiegerelterlicher Zuwendungen als Schenkung kritisch und nimmt sie zum Anlass, den „familienrechtlichen Vertrag sui generis“ dogmatisch einzuordnen und fortzuentwickeln. Ziel ist es, die Rückabwicklung innerfamiliärer Zuwendungen insgesamt einer konsistenten und einheitlichen Lösung zuzuführen.
Die condictio ob rem – ein Auslaufmodell Christian Thomale, 14. November 2012
In § 812 I 2 Alt. 2 BGB hat der deutsche Gesetzgeber einen Tatbestand kodifiziert, dessen heuristisches Verständnis und rechtspraktische Handhabung bis heute große Schwierigkeiten bereiten. In einer historischen, systematischen und teleologischen Untersuchung tritt Chris Thomale den Beweis an, dass dieser Kondiktionstatbestand keinen Anwendungsbereich hat und plädiert deshalb aus Gründen der Rechtsklarheit für seine Streichung.
Die Haftung des Scheingesellschafters Christian Deckenbrock, 8. Oktober 2012
Nicht immer entspricht der Außenauftritt einer Personen(handels)gesellschaft der gesellschaftsvertraglich vereinbarten Binnenstruktur. Besonders praxisrelevant sind die Fälle sog. Briefkopfpartner in Anwaltsgesellschaften – eine Praxis, die der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 12.7.2012 – AnwZ (Brfg) 37/11, NJW 2012, 3102) anerkannt hat, indem er die berufs- und wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Scheinsozietät bejaht hat. Der Preis, den diese „Gesellschafter“ für ihren optimierten Marktauftritt bezahlen müssen, ist der der gemeinschaftlichen Haftung. So liest man in Entscheidungen des BGH immer wieder, dass Scheingesellschafter wie echte Gesellschafter entsprechend § 128 S. 1 HGB in Anspruch genommen werden können. Sogar von einer „haftungsrechtlichen Gleichstellung“ ist die Rede. Christian Deckenbrock arbeitet heraus, dass dieser strenge Ansatz der Rechtsprechung mit den allgemeinen Kriterien einer Rechtsscheinhaftung nicht in Einklang zu bringen ist. Insbesondere erörtert er die Frage der Kausalität zwischen der Kenntnis des Dritten vom Rechtsscheintatbestand und der von ihm vorgenommenen Disposition (Vertrauensinvestition).
Vertrauensschaden und Erfüllungsinteresse – Zur Begrenzung der Schadensersatzpflicht des Anfechtenden (veröffentlicht in AcP 212, 853 ff.) Clemens Höpfner, 8. Dezember 2011
Das Irrtumsrecht des BGB ist bekanntlich eine Kompromisslösung zwischen dem Schutz der willensbestimmten Vertragsfreiheit und dem Verkehrsschutz. So kann der Irrende sich durch Anfechtung vom Vertrag lösen, hat aber zugleich dem Anfechtungsgegner den Vertrauensschaden zu ersetzen. Allerdings begrenzt § 122 I BGB den Schadensersatz auf das Erfüllungsinteresse. Die gängigen Kommentare und Lehrbücher stellen die Haftungsbegrenzung herkömmlicherweise anhand des Gewinns aus einem im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung ausgeschlagenen Geschäft dar. Dabei gerät der Grundfall des Vertrauensschadens – die nutzlos gewordenen Aufwendungen für den Abschluss des Vertrags und für den Erhalt der Leistung – zu Unrecht aus dem Blickfeld. Ausgehend von einem einfachen Beispielsfall untersucht Clemens Höpfner, ob und in welcher Form der Anfechtungsgegner seine Vertragskosten vom Anfechtenden ersetzt verlangen kann und inwiefern die Haftungsbegrenzung des § 122 I BGB einem sachgerechten Interessenausgleich im Wege steht.
Wunscherfüllung? Ein neuer Blickwinkel des Medizinrechts – dargestellt am Beispiel der Tiefen Hirnstimulation Jens Prütting, 9. November 2011
Wunschmedizinische Maßnahmen wie Schönheitsoperationen und das Verschreiben von Pharmazeutika zur Leistungssteigerung sind bereits seit längerer Zeit Alltagsphänomene – man denke nur an Brustoperationen und den Abusus von Ritalin (ein Medikament, welches typischerweise Patienten mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom verschrieben wird und nach einer weit verbreiteten Ansicht bei gesunden Menschen zu einer erheblichen kognitiven Leistungssteigerung über mehrere Stunden hinweg führen kann; erste größere Wellen missbräuchlicher Verwendungen wurden vor Jahren an amerikanischen Universitäten berichtet; vergleichbare Berichte gibt es mittlerweile aus zahlreichen anderen Ländern).
Gleichwohl muss von rechtlicher Seite her mit gewisser Überraschung festgestellt werden, dass die besonderen, sich aus solcher Art von Eingriffen ergebenden juristischen Probleme bislang unzureichend untersucht wurden. Am Beispiel einer „neuartigen“ Methode – der Tiefen Hirnstimulation (THS) – sollen die wichtigsten und dringlichsten Problemfelder skizziert und (soweit möglich) Lösungen angeboten werden. Die THS ist ein Verfahren, bei welchem dem Betroffenen eine Art Hirnschrittmacher implantiert wird, wodurch mittels elektrischer Impulse Hirnfunktionen angeregt oder gedrosselt werden können. Dies geschieht durch eine externe Steuerungseinheit, mit der auf Basis unterschiedlicher Impulsstärken per Fernsteuerung Hirnregulationen zu jeder Zeit vorgenommen werden können. Die THS kann sowohl zur medizinisch indizierten Heilbehandlung als auch als wunschmedizinische Maßnahme ohne medizinische Indikation (sog. Enhancement-Maßnahme) eingesetzt werden.
Der entscheidende Ansatz zur rechtlichen Bewertung ist, gegebene Strukturen des Heilbehandlungsrechts soweit wie möglich für Fälle fehlender medizinischer Indikation nutzbar zu machen. Zentrale Aspekte sind dabei die Verantwortlichkeit des Arztes und die kritische Würdigung seiner Berufsfreiheit vor dem Hintergrund seiner überlegenen Wissensstellung und der Kenntnis um besondere, medizinisch nicht gebotene Gefahren für den Kunden.
Für die Bewertung gilt es drei Konstellationen zu unterscheiden:
1. Eine reine Enhancement-Maßnahme durch den Arzt
2. Ein Mischeingriff (THS als Heilmittel und zur Leistungssteigerung)
3. Leistungssteigerung durch eigenständige Manipulation des Patienten
Der Vortrag soll eine Übersicht hinsichtlich der THS und ihres Potenzials vermitteln, um auf dieser Basis das medizinrechtliche Instrumentarium zur Regulation von Enhancement-Maßnahmen darzustellen und zu bewerten.
Nacherfüllungsort im Kaufrecht Michael Grünberger, 13. Juli 2011
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat in einem sehr sorgfältig begründeten Urteil (VIII ZR 220/10) entschieden, dass „der Erfüllungsort für die Nacherfüllung nach der allgemeinen Vorschrift des § 269 BGB zu bestimmen ist“. Danach hängt es maßgeblich von den jeweiligen Umständen ab, ob eine käuferfreundliche Bringschuld oder eine verkäuferfreundliche Holschuld vorliegt. Führt die Anwendung des § 269 BGB zu einer Holschuld, stellt sich die Frage, ob das beim Verbrauchsgüterkauf mit den in Art. 3 der VerbrGK-RL 1999/44/EG vorgesehen Kriterien der Unentgeltlichkeit und der nicht erheblichen Unannehmlichkeit der Nacherfüllung vereinbar ist. Der BGH bejaht diese Frage. Die Wertungen der Richtlinie seien bei der Bestimmung der Umstände in § 269 BGB zu berücksichtigen. § 439 Abs. 2 BGB sei eine Anspruchsgrundlage, und der Käufer habe einen Anspruch auf Vorschuss, wenn er die Transportkosten vorstrecken muss. Im Kern differenziert der BGH damit zwischen der mit der Festlegung des Leistungsorts einhergehenden Verteilung von Verkäuferpflichten und Käuferobliegenheiten und der daraus folgenden primären Kostenlast einerseits und der sekundären Kostenlast andererseits.
Michael Grünberger untersucht diese Lösung und hinterfragt sie. Eine erhebliche Rolle kommt dabei der aktuellen Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen Gebr. Weber und Putz (verb. Rs. C-65/09 und C-87/09) zu, in denen der Gerichtshof eine Aus- und Einbaupflicht bzw. eine Kostentragungspflicht des Verkäufers bei der Ersatzlieferung bejahte.
Behandlung von Vertragsübernahmen im deutschen internationalen Privatrecht Sebastian Feiler, 8. Juni 2011
Die Vertragsübernahme ist im Rechtsverkehr heute allgegenwärtig. Überall dort, wo langfristige Vertragsbeziehungen entstehen, besteht potenziell auch ein Bedarf nach einem Austausch der Vertragsparteien. Oft ist aus Gründen der Wirtschaftlichkeit kein Neuabschluss, sondern eine Überleitung des Vertragsverhältnisses gewünscht. Bietet beispielsweise ein Mobilfunkanbieter nur Verträge mit einer vertraglichen Mindestlaufzeit an, kann die Übernahme eines bereits bestehenden Mobilfunkvertrags mit einer „Restlaufzeit“ attraktiver sein als der Abschluss eines neuen Vertrags. Zunehmend finden sich Vertragsübernahmen auch im internationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr. Zieht die Vertragspartei eines Mobilfunkvertrags beispielsweise ins Ausland, ist zu fragen, welchem Recht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Übertragung dieses Vertrages zu entnehmen sind. Die anzutreffenden Fallgestaltungen sind vielgestaltig. Sie umfassen Geschäfte zwischen Privaten ebenso wie die Übertragung langfristiger Lieferverträge im Unternehmenskauf.
Sebastian Feiler wird – nach einem kurzen Blick auf das Rechtsinstitut der Vertragsübernahme im deutschen Recht – erörtern, welches Recht auf einen solchen Übertragungsvorgang anwendbar ist. Für grenzüberschreitende vertragliche Schuldverhältnisse, die ab dem 17.12.2009 begründet wurden, gilt europaweit vereinheitlichtes Kollisionsrecht in Gestalt der Rom I-Verordnung. Artikel 14 Rom I-Verordnung regelt die Abtretung von Forderungen. Daran anschließend ist zu fragen, ob auch die Übernahme einer gesamten Parteistellung vom vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht der Rom I-Verordnung erfasst wird. Nur in einem solchen Fall fiele das Recht der internationalen Vertragsübernahme in die Auslegungskompetenz des EuGH und wäre die Materie somit einer EU-weiten Vereinheitlichung unterworfen. Auch das Schicksal des übernommenen Vertragsverhältnisses soll beleuchtet werden. Beispielsweise ist es dort klärungsbedürftig, wo die Altparteien von ihrer Möglichkeit zur Rechtswahl Gebrauch gemacht haben. Aber auch ein objektiv bestimmtes Statut ist nach der Verlagerung des Vertragsverhältnisses möglicherweise neu zu bewerten.
Die kollektive Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 S. 2-4 BGB (veröffentlicht in RdA 2011, 163 ff.) Adam Sagan, 28. April 2011
Das rechtliche Schicksal kollektiver Verträge nach einem Betriebsübergang beschäftigt Rechtswissenschaft und Praxis seit Jahrzehnten. Im Jahr 1980 entschied sich der Gesetzgeber mit Ergänzung des § 613a Abs. 1 BGB um die Sätze 2 bis 4 für die sog. „individualrechtliche Lösung“, nach der Kollektivverträge beim Erwerber als Inhalt des Arbeitsvertrages fortgelten sollen. Diese Konzeption stellte sich in der Praxis jedoch als missglückt heraus, und die Rechtsprechung entwickelte eine kaum noch überschaubare Anzahl von Ausnahmen, um die Anwendung von § 613a Abs. 1 S. 2 – 4 BGB möglichst zu vermeiden.
In einer jüngeren Grundsatzentscheidung hat das BAG nunmehr die These ausdrücklich verworfen, dass kollektives Recht sich nach § 613a Abs. 1 S. 2 – 4 BGB in arbeitsvertragliche Abreden umwandle (Urt. v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08). Stattdessen propagiert es die befremdliche Rechtsfigur der „in das Arbeitsverhältnis transformierten Kollektivnormen mit kollektivrechtlichem Charakter“.
Die Rechtsprechungswende gibt Anlass, das bisherige Verständnis des § 613a Abs. 1 S. 2 – 4 BGB grundlegend zu überdenken. Adam Sagan legt dar, dass die Norm letztlich als Anordnung einer (statischen) Sukzession des Erwerbers in die kollektivrechtlichen Bindungen des Veräußerers zu interpretieren ist.
Die Verrechtlichung von Organbezügen als europäisches Problem - Rechtsvergleichende Betrachtung der Begrenzung der Vergütung geschäftsführender Organe in deutschen und französischen Aktiengesellschaften - Maximilian Friedrich, 1. Februar 2011
Die Vorstandsvergütung in der deutschen Aktiengesellschaft wurde zuletzt 2009 durch das VorstAG reformiert, was eine Flut von Publikationen auslöste. Darunter finden sich immer wieder auch rechtsvergleichende Stellungnahmen, jedoch bislang nur zu anglo-amerikanischen Regelungen. Die Betrachtung der Regelungen Frankreichs blieb dagegen außen vor. Dieser Lücke widmet sich Maximilian Friedrich in seinem Vortrag:
In seinem Vergleich des deutschen und französischen Rechtssystems zeigt er inhaltliche Gleichläufe als Brücken zur Rechtsvereinheitlichung auf, weist aber auch auf strukturelle Unterschiede (wie die monistische Struktur der frz. société anonyme) hin, die unüberwindbare Hindernisse einer Rechtsvereinheitlichung darstellen könnten. Gleichläufige Entwicklungen zeigen sich bei den verbandsinternen checks and balances bei der Vergütungsfestsetzung. In beiden Rechtsordnungen war bis vor kurzem Konsens, die Entscheidung über die Vergütung dem von den Aktionären gewählten Kollegialorgan zu übertragen. Im Wege einer „Demokratisierung“ weicht der direkte Einfluss der Aktionäre die Mediatisierung der Entscheidung auf.
Im Zentrum der Reform durch das deutsche VorstAG liegen inhaltliche Anforderungen an die Vergütung. Die schon bestehende Begrenzung auf eine angemessene Höhe wurde für die börsennotierte AG um die Forderung nachhaltiger Strukturen ergänzt. Die laufende Vergütung ist im Code de Commerce dagegen nicht beschränkt. Exzesse können durch das allgemeine Gesellschaftsrecht vermieden werden. Die Vergütung als Bestandteil der Unternehmensführung ist in Frankreich kein Thema für den Gesetzgeber, sondern der Corporate Governance Kodizes.
Ganz anders fällt das Ergebnis bei Abfindungsleistungen und der Möglichkeit, den Vorständen die Bezüge zu kürzen, aus. Das gesetzliche Leitbild ist in Deutschland die Erfüllung des Dienstvertrages des Vorstandes. Beendigung oder Kürzung der Zahlung der Bezüge sind nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Dagegen kennt Frankreich weder eine Trennung von Bestellung und Anstellung, noch schützt die Vertragstreue den Vorstand vor Abberufung oder Kürzung der Bezüge. Grundsätzlich können die Bezüge ohne Frist und Grund herabgesetzt werden oder entfallen. Präventiv lassen sich französische Vorstandsanwärter daher Abfindungsleistungen versprechen, um das gesetzliche Leitbild einer prekären wirtschaftlichen Stellung zu umgehen. Im Zentrum der französischen Reformbemühungen steht die Bekämpfung von Abfindungen. Diese sind in Deutschland lediglich ein Thema des Corporate Governance Kodex..
Das erkrankte Kind aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht: Leistungsverweigerungsrecht, Freistellung, Entgeltfortzahlung und Lohnersatzleistung (veröffentlicht in NZA 2011, 719) Wiebke Brose, 13. Januar 2011
Erkrankt das Kind eines Arbeitnehmers, stellt sich die Frage, ob und wie lange er das Kind zu Hause pflegen darf, und ob er für die Dauer der Pflege einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat oder eine Lohnersatzleistung erhält. Aus einem alltäglichen praktischen Problem wird ein komplexes rechtliches Problem. An Anspruchsgrundlagen mangelt es nicht. Das BGB bietet das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB und den Anspruch auf Vergütungsfortzahlung nach § 616 S. 1 BGB. Sind Arbeitnehmer und Kind gesetzlich krankenversichert, sieht § 45 SGB V einen Freistellungsanspruch sowie die Zahlung eines Krankengeldes vor.
Da der Großteil der Arbeitnehmer gesetzlich versichert ist, könnten alle drei Regelungen einschlägig sein. Die Auswirkungen sind erheblich: Der Anspruch aus § 45 SGB V setzt voraus, dass das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und begrenzt Freistellung und Krankengeld auf die Dauer von zehn Arbeitstage pro Jahr. § 275 Abs. 3 BGB stellt hingegen auf die Zumutbarkeit der Leistungserbringung ab, und § 616 S. 1 BGB begrenzt den Anspruch in der Dauer auf „eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“. Der Gesetzgeber hat sowohl in § 616 S. 2 BGB als auch in § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V jeweils eine Subsidiaritätsklausel eingefügt und damit mehr Verwirrung gestiftet als für Klarheit gesorgt.
Mit der Einführung des Pflegezeitgesetzes im Jahr 2008 wird die Diskussion nun mit § 2 PflegeZG um eine weitere Norm bereichert, die bisher kaum Beachtung gefunden hat, obwohl auch sie ausdrücklich die kurzzeitige Arbeitsverhinderung wegen der Pflege naher Angehöriger regelt. Wiebke Brose wird das Verhältnis dieser vielfältigen Anspruchsgrundlagen zueinander erläutern.
Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat Thomas Meyer, 25. November 2010
Effizienz, Professionalität und Qualität der Tätigkeit deutscher Aufsichtsräte werden seit Jahren kritisiert. Der Gesetzgeber hat diese Kritik schon in der Vergangenheit als Teil der Corporate Governance-Diskussion aufgegriffen und zum Anlass für erste Modifizierungen des Aktiengesetzes genommen. Neben diese legislativen Maßnahmen treten die außergesetzlichen Regelungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), der dem aktienrechtlichen Überwachungsgremium von Beginn an die größte Aufmerksamkeit schenkte. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise befindet sich das Recht des Aufsichtsrats auch weiterhin in reger Entwicklung.
Mit den jüngsten Gesetzesänderungen, allen voran dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), hat diese Entwicklung eine neue Stufe erreicht. Hiernach muss nunmehr in kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften „mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ verfügen (§ 100 Abs. 5 AktG n.F.).
Diese Vorschrift lässt viele Fragen offen, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sie trotz neuer Begrifflichkeiten auf Legaldefinitionen verzichtet und dass auch die Gesetzesbegründung zu maßgeblichen Aspekten schweigt. Wer ist unabhängig und von wem oder welchen Einflüssen soll das (potenzielle) Aufsichtsratsmitglied unabhängig sein? Wer besitzt die notwendige Finanzexpertise? Wie stellt sich das Anforderungsprofil im Verhältnis zu dem des Abschlussprüfers dar? Und: Welche Konsequenzen hat es, wenn eine Gesellschaft nicht über den erforderlichen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss verfügt?
Thomas Meyer wird einen Teilausschnitt dieser Fragen behandeln und die Unabhängigkeitsproblematik am Beispiel konzerneingebundener Tochtergesellschaften verdeutlichen.
Streitverkündung zwischen als Gesamtschuldner verklagten Streitgenossen Carl Friedrich Nordmeier, 28. Juli 2010
Werden Gesamtschuldner von ihrem Gläubiger in einem Prozess gemeinsam in Anspruch genommen, sind sie in einfacher Streitgenossenschaft verbunden. Durch die einfache Streitgenossenschaft treten Streitgenossen in kein besonderes Verhältnis zueinander. Dies hat für die als Gesamtschuldner in Anspruch genommenen Streitgenossen im Hinblick auf einen etwaigen Regressprozess zur Folge, dass sie sich gegenseitig nach § 72 Abs. 1 ZPO den Streit verkünden müssen, um das Ergebnis des Vorprozesses gegen den Gläubiger auch für den Regressprozess zu sichern. Ohne die Streitverkündung besteht für jeden der Gesamtschuldner das Risiko, im Vorprozess zur Leistung verurteilt und vom Gläubiger in voller Höhe in Anspruch genommen zu werden, einen Regressprozess gegen den anderen Gesamtschuldner jedoch zu verlieren, falls der Richter des Regressprozesses – abweichend vom Richter des Vorprozesses – zu der Auffassung gelangt, eine Gesamtschuld habe nicht bestanden. Die Interventionswirkung des § 74 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 68 ZPO unterbindet dies, setzt aber eine erst im Regressprozess näher zu prüfende, wirksame Streitverkündung voraus.
Obgleich die wechselseitige Streitverkündung zwischen als Gesamtschuldner verklagten Streitgenossen formalistische Züge annimmt, hält die ganz überwiegende Auffassung an ihr fest. Auch das 2. Justizmodernisierungsgesetz, das in § 72 Abs. 2 ZPO n.F. die Streitverkündung an das Gericht und den gerichtlichen Sachverständigen unterbindet, scheint diese Ansicht zu stützen. Carl Friedrich Nordmeier stellt den Ansatz auf den Prüfstand und entwickelt die These, dass die Streitverkündung zwischen als Gesamtschuldner verklagten Streitgenossen größtenteils entbehrlich ist.
„Mehrheitsmacht vs. Richtermacht“ - Die Reichweite der Gestaltungsfreiheit bei identitätswahrenden Umwandlungen von Unternehmen Max Thümmel, 16. Juni 2010
Ein fehlerhafter Formwechselbeschluss berechtigt die Gesellschafter wie jeder mangelhafte Gesellschafterbeschluss grundsätzlich zur Klage. Die Durchführbarkeit eines mehrheitlich beschlossenen Formwechsels hängt daher maßgeblich davon ab, inwiefern der Umwandlungsbeschluss einer richterlichen Kontrolle unterliegt. Für formelle Mängel hat der Gesetzgeber weitreichende Ausschlusstatbestände im UmwG vorgesehen, um die Anfechtungsrisiken zu verringern. Die Anfechtung wegen materiell-rechtlicher Mängel wurde hingegen gesetzlich nicht näher geregelt.
Der BGH hat zu der Reichweite der Kontrolle im Formwechselrecht erstmals 1982 in der sog. „Freudenberg“-Entscheidung (BGHZ, 85, 350 ff.) Stellung genommen und der Gestaltungsfreiheit der Gesellschaftermehrheit unter Rückgriff auf den Treuepflichtgedanken enge Grenzen gesetzt: Der Schutz der Minderheitsgesellschafter erfordere u.a., den bisherigen „Charakter“ der rechtsformwechselnden Gesellschaft, die Grundzüge ihrer Organisation und die Rechtsposition der einzelnen Gesellschafter im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen zu erhalten. Veränderungen in der Organisationsstruktur im Zuge des Formwechsels bedürften stets eines sachlichen Grundes.
Die überwiegende Literatur hält bis heute apodiktisch an diesen strengen Anforderungen fest und interpretiert auch ein aktuelleres BGH-Urteil aus dem Jahre 2005 in diesem Sinne. Max Thümmel wird dies kritisch hinterfragen und seine Gegenthese vorstellen.
Die pro bono-Tätigkeit des Anwalts und der Zugang zum Recht - Übertragbarkeit eines US-amerikanischen Modells auf Deutschland ? – Borbála Dux, 6. Mai 2010
Unentgeltliche Tätigkeit für das öffentliche Wohl oder für bedürftige Rechtsuchende wird in den USA unter dem Begriff pro bono work praktiziert und hat im Tätigkeitsspektrum US-amerikanischer Law Firms einen festen Platz. Deutsche Rechtsanwälte haben ebenfalls schon immer in begründeten Einzelfällen Mandate unentgeltlich übernommen. Hierzulande hat sich jedoch bis jetzt noch keine Landschaft anwaltlicher pro bono-Angebote entwickelt, die mit der US-amerikanischen vergleichbar wäre. Begründet wird dies zuweilen mit der fehlenden Notwendigkeit für unentgeltliches anwaltliches Engagement, da die Versorgung bedürftiger Rechtsuchender durch die staatlich finanzierte Prozesskosten- und Beratungshilfe für ausreichend befunden wird. Zudem sei unentgeltliche Anwaltstätigkeit nach deutschem Recht unzulässig, da hierzulande das anwaltliche Vergütungsrecht feste Gebührensätze vorsehe, die nicht unterschritten werden könnten.
Borbála Dux setzt sich in ihrem Vortrag mit diesen landläufigen Annahmen kritisch auseinander. Das vielbeschworene staatlich finanzierte System des Zugangs zum Recht habe nämlich größere Lücken als angenommen, und diese könnten auf sinnvolle Weise durch anwaltliche pro bono-Tätigkeit gefüllt werden. Gerade das Rechtsdienstleistungsgesetz eröffne hier auch für Rechtsanwälte neue Perspektiven. Spätestens seit Zulassung anwaltlicher Erfolgshonorarvereinbarungen sei auch die pro bono-Anwaltstätigkeit nach deutschem Recht zulässig. Die rechtsmethodisch nicht einfache Herleitung dieses Ergebnisses mittels teleologischer Reduktion und verfassungskonformer Auslegung berufsrechtlicher Normen möchte Borbála Dux unserer Diskussionsrunde präsentieren.
Hinsendekosten beim Verbraucherwiderruf Katrin Blasek, 26. Oktober 2009
Die Frage, ob man einem Verbraucher, der im Fernabsatz von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht, die Kosten der Hinsendung der Ware auferlegen, sie also entweder vom zurückzuerstattenden Kaufpreis abziehen bzw. nach Ausübung des Widerrufs in Rechnung stellen darf, ist im dt. Recht – im Gegensatz zu den Rücksendekosten (§ 357 BGB) – nicht ausdrücklich geregelt. Der BGH hat die Frage, wie die Fernabsatz-RL in dieser Frage zu verstehen ist, dem EuGH vorgelegt, weil er selbst nicht zu einer eindeutigen (Acte Clair-Doktrin) Antwort kommen konnte. Katrin setzt sich kritisch mit der recht kurzen BGH-Entscheidung (NJW 2009, 66) und den in dieser Frage vertretenen Argumenten auseinander.
Voraussetzungen und Grenzen richtlinienkonformer Auslegung und Rechtsfortbildung (veröffentlicht in JbJZRWiss 2009, 73 ff.) Clemens Höpfner, 22. Juli 2009
Der Europäische Gerichtshof verlangt von den nationalen Gerichten, das mitgliedstaatliche Recht „soweit wie möglich“ am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um deren Ziel zu erreichen und auf diese Weise der Umsetzungspflicht des Art. 249 Abs. 3 EGV nachzukommen. Die Frage, inwieweit die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung die innerstaatliche Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Judikative zu respektieren hat, beschäftigt derzeit Justiz und Rechtswissenschaft. Nachdem der BGH in der Rechtssache „Quelle“ (EuZW 2009, 155) erstmals Stellung zugunsten einer weitreichenden richterlichen „Rechtsfortbildungskompetenz“ bezogen hat, setzt das BAG nun mit der Entscheidung „Schultz-Hoff“ (EuZW 2009, 465) den eingeschlagenen Weg fort. Clemens Höpfner setzt sich kritisch mit dieser Rechtsprechung auseinander und entwickelt vor dem Hintergrund der Grundsätze der Gewaltenteilung und der richterlichen Gesetzesbindung sowie der Eigenart der Richtlinie einen alternativen Lösungsweg.
Personale Gleichheit. Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Zivilrecht Michael Grünberger, 29. April 2009
Michael Grünberger unternimmt den Versuch, ein über das AGG hinausreichendes allgemeines Prinzipienmodell des Grundsatzes der Gleichbehandlung für das Zivilrecht zu entwickeln. Die Arbeit soll den Nachweis dafür erbringen, dass Antidiskriminierungsrecht zu einem Paradigmenwechsel des europäischen und deutschen Zivilrechts führt: Das Prinzip der formalen Gleichheit aller Privatrechtssubjekte wird vom Prinzip der personalen Gleichheit der natürlichen Personen abgelöst. Darunter ist ein Prinzipienmodell zu verstehen, das es erlaubt, den Grundsatz der Gleichbehandlung in kohärenter und rational begründbarer Weise auf alle gleichbehandlungsrelevanten Sachverhalte im Privatrecht - von der „einfachen“ Ungleichbehandlung bis hin zur Diskriminierung aus bestimmten Gründen - anzuwenden. Das Modell geht vom Begriff der Ungleichbehandlung aus und unterscheidet zwischen Diskriminierungen (ungleiche Behandlung, die an bestimmte persönlichkeitsrelevante Merkmale anknüpfen) und sonstigen ungleichen Behandlungen. Jede Ungleichbehandlung eines Privatrechtssubjekts ist grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig. Bei einer sonstigen Ungleichbehandlung ist schon die Ausübung von (grundrechtlich geschützten) Freiheitsrechten der sachliche Grund, der die ungleiche Behandlung rechtfertigen kann. Weil die Diskriminierungsmerkmale Differenzierungsverbote sind, können Diskriminierungen nur dann gerechtfertigt werden, wenn sie geeignet und erforderlich und angemessen (verhältnismäßig) sind, um ein legitimes Ziel zu erreichen.
Neue Wege in der Juristenausbildung - Chancen und Risiken Johanna Servatius / Moritz Quecke, 4. Februar 2009
Unter dem Stichwort "Bologna-Reform" werden Studiengänge in vielen europäischen Ländern zu Bachelor- und Masterstudiengängen umstrukturiert. Die Juristenausbildung war in Deutschland lange Zeit nicht zuletzt wegen einer Sonderpassage im Koalitionsvertrag von diesen Reformüberlegungen ausgenommen. Mittlerweile gibt es jedoch eine Vielzahl an Reformmodellen für die Juristenausbildung. Die Debatte hat an Tempo gewonnen, auch der Koordinierungsausschuss der Justizministerkonferenz befasst sich mit der Frage der Reformbedürftigkeit. Prof. Dauner-Lieb hat die wissenschaftliche Leitung einer Kommission des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft übernommen, die die bisherigen Vorschläge kritisch geprüft hat und einen eigenen Vorschlag unterbreiten wird. Johanna Servatius und Moritz Quecke, die hieran mitarbeiten, legen frei, was hinter dem Stichwort "Bologna" steckt, geben einen Überblick über die Debatte, stellen einige Modellvorschläge vor und beleuchten Chancen wie Risiken einer etwaigen Reform.
Abtretung von Darlehensforderungen und Sicherungsgrundschulden nach dem Risikobegrenzungsgesetz Michael Stürner, 5. Dezember 2008
Es gilt, ein Produkt aktueller Gesetzgebung kritisch zu würdigen. Der zunehmende Verkauf von (notleidenden und anderen) Kreditforderungen von Banken an spezialisierte Finanzinvestoren hat verschiedentlich Befürchtungen geweckt, dass der Kreditnehmer einer Verwertung der durch Grundschulden gesicherten Forderungen durch die „Schuldenaufkäufer“ machtlos gegenüber stehe.
In der Tat haben solche Fälle bereits die Gerichte beschäftigt (jüngst OLG München BKR 2008, 420). Der Gesetzgeber hat mit dem am 18.8.2008 in Kraft getretenen Risikobegrenzungsgesetz reagiert. Darin wird neben der Einführung von Hinweispflichten der Bank insbesondere die Vollstreckung aus Sicherungsgrundschulden erschwert: Nach § 1192 Abs. 1a BGB n.F. kann nun der Eigentümer einer Vollstreckung in das Grundstück aus der Sicherungsgrundschuld sämtliche Einreden, die ihm aus dem Sicherungsvertrag zustehen oder sich aus ihm ergeben, entgegenhalten. Die Abstraktheit der Sicherungsgrundschuld gegenüber der Darlehensforderung wird damit deutlich gelockert, wodurch die Grundschuld in dieser Hinsicht der Verkehrshypothek angenähert wird.
Verbraucherschutz durch Information - zur Rolle von Schlüsselinformationen im Verbraucherschutz Katrin Blasek, 5. November 2008
Die Informationsmenge verdoppelt sich im relativ kurzen Abstand von 5-7 Jahren. Aus ökonomischer und psychologischer Sicht führt dieses Mehr an Information beim Menschen aber nicht zu einem Mehr an Informationsaufnahme. Im Gegenteil strebt der Mensch häufig nach Informationsentlastung und zwar mittels sog. Schlüsselinformationen (Preis, Marke, Gütesiegel). Dieses Verhalten widerspricht dem Leitbild des informierten bzw. informierbaren Verbrauchers, der aufgrund der bereitgestellten Information eine Schiedsrichterfunktion am Markt wahrnimmt und zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes beiträgt. Im Vortrag sollen die Auswirkungen der Informationsflut auf das reale Entscheidungsverhalten der Verbraucher herausgearbeitet werden. Anschließend sollen die Möglichkeiten und Grenzen von Schlüsselinformationen im Verbraucherschutz beleuchtet werden.
Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Pierre Boll, 2. Juli 2008
Diese Grenzen sind Gegenstand einer kontroversen Diskussion, deren Relevanz insbesondere der sog. „Backofenfall“ (BGH NJW 2006, 3200) schlaglichtartig verdeutlicht. Dort geht es um die Frage, ob der Verbraucher-Käufer nach §§ 439 IV, 346 I, II 1 Nr. 1 BGB Nutzungsersatz zu leisten hat, wenn der Unternehmer-Verkäufer ihm im Wege der Nacherfüllung eine neue Sache liefert. Wie der EuGH mittlerweile entschieden hat, widerspricht eine derartige Nutzungsersatzpflicht der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (EuGH v. 17.4.2008, Rs. C-404/06 - Quelle, NJW 2008, 1433). Eine richtlinienkonforme Auslegung im engeren Sinne kommt aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 439 IV BGB nicht in Betracht. Dennoch ist es möglich und auch geboten, eine Nutzungsersatzpflicht des Verbrauchers im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung abzuwenden.
Staatliche Mindestlöhne - nicht nur ein politisches Problem Ulrich Sittard, 28. Mai 2008
Die Debatte um staatliche Mindestlöhne ist sowohl in der Politik als auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum in vollem Gange. Die große Koalition hat sich anstelle eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns auf sog. "branchenbezogene Lösungen" über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz verständigt. Das AEntG erstreckt - ähnlich wie die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG - Tarifvertragsnormen auf bisher nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Vortrag von Uli Sittard beschäftigt sich ausgehend von den bisher existierenden Modellen der Tarifnormerstreckung mit der Eignung dieses Instruments zur Gewährleistung von Mindestlöhnen.
Erbenbindung durch sanktionsbewährte Leistungspflicht (veröffentlicht in AcP 209 (2009), 354) Christine Budzikiewicz, 30. April 2008
Als probates Mittel, einer Nichtachtung des Erblasserwillens entgegenzuwirken, wird die letztwillige Verfügung nicht selten mit einer auflösenden Bedingung verbunden. Unter das Damoklesschwert der Enterbung kann dabei pauschal jeder Angriff auf das Testament gestellt werden, möglich ist aber auch die selektive Sicherung einzelner Anordnungen (insbes. von Auflagen i.S.d. § 1940 BGB). Der Beitrag nimmt Letztere in Blick und geht der Frage nach, in welchem Umfang der Erblasser seinem Diktat durch Potestativbedingungen auch hinsichtlich solcher Handlungsvorgaben Nachdruck verleihen kann, die einer schuldrechtlichen Bindung wegen eines Verstoßes gegen gesetzliche Vorgaben nicht zugänglich wären. Aktueller Anlass der Überlegungen ist die Entscheidung des OLG München v. 16.7.2007 (ZEV 2007, 583). Das Gericht hatte darüber zu befinden, ob der Erblasser die testamentarische Auflage, persönlich haftender Gesellschafter einer OHG zu werden und zu bleiben, wirksam mit einer Strafklausel verbinden konnte.
Sozietät und Bürogemeinschaft – berufsrechtlich gebotene Gleichbehandlung? (veröffentlicht in NJW 2008, 3529) Christian Deckenbrock, 16. Januar 2008
Gemeinsame Berufsausübung oder bloß organisatorische Zusammenarbeit, Außen- oder Innengesellschaft: Für viele Rechtsanwälte stellt sich die Frage, ob sie sich in einer Sozietät zusammenschließen oder „nur“ eine Bürogemeinschaft bilden. Obwohl es evidente Unterschiede zwischen Sozietät und Bürogemeinschaft gibt, legt § 59a Abs. 3 BRAO den Schluss nahe, dass Sozietät und Bürogemeinschaft berufsrechtlich einheitlichen Maßstäben unterliegen. In dem Vortrag werden die berufsrechtlichen Vorgaben für Sozietäten und Bürogemeinschaften vorgestellt. Es soll kritisch hinterfragt werden, inwieweit aus ihnen eine Pflicht zur Gleichbehandlung beider Organisationsformen im Hinblick auf Verschwiegenheitspflichten, Tätigkeitsverbote und Haftungsfragen folgt
Faktische Unmöglichkeit und Störung der Geschäftsgrundlage – unmöglich abzugrenzen? (veröffentlicht in Jura 2010, 721) Michael Stürner, 28. November 2007
Die Schuldrechtsreform hat bekanntlich bei der Rechtsanwendung nicht nur Vereinfachungen gebracht. So ist die Abgrenzung von „faktischer Unmöglichkeit“ aus § 275 Abs. 2 BGB und Störung der Geschäftsgrundlage aus § 313 BGB nach Ansicht vieler Autoren – untechnisch gesprochen – nahezu unmöglich. Beide Normen begrenzen vertraglich vereinbarte Primärleistungspflichten, aber sowohl im Tatbestand als auch in der Rechtsfolge auf sehr unterschiedliche Weise. Wenn auch diese Limitierungsfunktion in der täglichen Praxis durchaus nicht allzu häufig eine Rolle spielt, so sind die verschiedenen Anwendungsbereiche der §§ 275 Abs. 2, 313 BGB doch dogmatisch von Interesse zur Bestimmung der Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten.
Das Spannungsverhältnis zwischen den Rechten des Urhebers und des Eigentümers an einem geistigen Werk (Auszug aus ihrer Dissertation „Die Rechte des bildenden Künstlers nach Veräußerung des Werkstückes“) Lisa Wiesner, 31. Oktober 2007
Ein Gemälde des französischen Künstlers Henri Matisse oder eine Skulptur des Bildhauers Michelangelo sind körperliche Gegenstände im Sinne des § 90 BGB. Darüber hinaus verkörpern diese Kunstwerke ein geistiges Werk. Für dieses Immaterialgut gelten bis siebzig Jahre nach dem Tod des Künstlers die Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes. Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes (§ 11 S. 1 UrhG). Demgegenüber erlaubt die sachenrechtliche Vorschrift des § 903 BGB dem Eigentümer, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren. Veräußert der bildende Künstler das Werkstück bzw. sind beide Rechte von vornherein nicht in einem Rechtsträger vereint, tritt das Urheberrecht unweigerlich in ein Spannungsverhältnis zu den Rechten des Eigentümers. Dieses Spannungsverhältnis soll beispielhaft an folgender Problematik dargestellt werden: Darf der bildende Künstler dem Eigentümer die Vernichtung eines Werkstückes verbieten?
Grundzüge eines modernen Kreditsicherungsrechts für Mobilien (veröffentlicht in Horst Eidenmüller/Eva-Maria Kieninger (Hrsg.), The Future of Secured Credit in Europe, ECFR special volume 2 (2008), 248 ff.) Moritz Brinkmann, 4. Juli 2007
Der Vortrag berührt Grundprobleme des Kreditsicherungsrechts aus schuld-, sachen- und insolvenzrechtlicher Sicht. Dabei wird der Referent versuchen, eine Antwort auf die Frage zu skizzieren, warum A und B einen Vertrag schließen können, dessen Wirkung darin besteht, dass C in der Insolvenz leer ausgeht.
Die Vertragstreue – eine Skizze (Auszug aus: „Die Vertragstreue - Vertragsbindung – Naturalerfüllungsgrundsatz – Leistungstreue“, Habilitationsschrift Köln (WS 2007/2008)) Marc-Philippe Weller, 23. Mai 2007
Pacta sunt servanda meint im Kern die rechtliche Verbindlichkeit wirksam geschlossener Verträge und gebietet als Rechtsgrundsatz, dass Verträge beachtet werden sollen. Der Beitrag widmet sich ihren drei Elementen Vertragsbindung, Naturalerfüllungsgrundsatz und Leistungstreue aus rechtsvergleichender, historisch-vergleichender und rechtsdogmatischer Sicht.
Missbrauchsschutz auch "an der Haustür"? - Anmerkungen zur Reform der Haustürwiderrufsrichtlinie (veröffentlicht in VuR 2008, 291 ff.) Katrin Blasek, 18. April 2007
Die Kommission bereitet gegenwärtig eine Reform des europäischen Verbraucherschutzrechts vor. Es sollen im Wesentlichen acht Verbraucherschutzrichtlinien überprüft und modernisiert werden. Die älteste Richtlinie, die Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (heute hauptsächlich umgesetzt in § 312 BGB), reicht ins Jahr 1985 zurück, ist also mehr als 20 Jahre alt. Nach einem einführenden Teil geht die Vortragende insbesondere auf eine mögliche Reform der Haustürrichtlinie ein.
Von Bernhard Markus Antoinette zu Anderson Bernd Peter - Über den Wandel des Vornamensrechts (veröffentlicht in AcP 207 (2007), 314 ff.) Michael Grünberger, 10. Januar 2007
Der BGH hat im Jahre 1959 entschieden, dass Knaben mit Ausnahme des Beivornamens Maria keine weiblichen Vornamen erhalten dürfen. Die Vornamensgebung habe entsprechend der Sitte und rechten Ordnung zu erfolgen. Die dem Vornamen zukommende Ordnungsfunktion habe zum Inhalt, anhand des Vornamens eindeutig das Geschlecht des Kindes kenntlich zu machen (BGHZ 30, 132 - Bernhard Markus Antoinette). Das BVerfG hat im Jahre 2005 Entscheidungen von Instanzgerichten aufgehoben, nach denen der Vorname Anderson der Ordnungsfunktion widerspreche. Das BVerfG führt aus, dass der Vorname ausschließlich der Individualität einer Person Ausdruck verleihe und die Namenswahl der Eltern nur vom Kindeswohl eingeschränkt ist (BVerfG, Beschl. v. 3.11.2005, 1 BvR 691/03 - Anderson Bernd Peter). Der Vortrag schildert die Entwicklung des "Grundsatzes der Geschlechtsoffenkundigkeit" im deutschen Vornamensrecht und untersucht, ob er aufgrund der genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen und dem neuen PStG noch haltbar ist.
Öffentliche Ordnung vs. Gute Sitten – Ein Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 138 Abs. 1 BGB (Vorstudie zu einem Dissertationsprojekt zur Enteignungspraxis des 18. und 19. Jahrhunderts) Lars Menninger, 29. November 2006
Die Sittenwidrigkeit stellt neben dem Verstoß gegen ein Verbotsgesetz eine der nunmehr nur noch zwei allgemeinen Schranken der zivilrechtlichen Privatautonomie in unserer Rechtsordnung dar. Im Hinblick auf die Gesetzgebungsgeschichte war aber bis zuletzt und sogar noch zwischen den beiden BGB-Kommissionen streitig, ob die öffentliche Ordnung neben den guten Sitten in den § 138 Abs. 1 BGB aufgenommen werden sollte. Warum dies so streitig war und sich letztlich zumindest als allgemeine Schranke die guten Sitten durchgesetzt haben, soll unter Berücksichtigung der Vorgeschichte der Schrankendogmatik aus dem 18. und 19. Jahrhundert erläutert werden.
Der Übergang von Rechtsverhältnissen bei Unternehmensfortführungen (veröffentlicht in ZHR 170 (2006), 737 ff.) Johannes W. Flume, 25. Oktober 2006
Die Regelungen der §§ 25 ff. öHGB sind den entsprechenden Vorschriften des HGB bislang im wesentlichen inhaltsgleich. Gegenstand des Vortrags soll die Neufassung der österreichischen Bestimmungen in den §§ 38 ff. des künftigen sog. Unternehmensgesetzbuch sein.
Im Vordergrund der Neufassung steht nicht die Haftung des Erwerbers eines Unternehmens, sondern der Übergang unternehmensbezogener Rechtsverhältnisse auf den Erwerber. Inwieweit der österreichischen Gesetzgebung Modellcharakter zukommt, wird zu diskutieren sein.
Schenkungen an Minderjährige – Ende der Gesamtbetrachtung? (veröffentlicht in DNotZ 2005, 655 ff.) Karl-Philipp Wojcik, 17. Mai 2006
Anhand der aktuellen Rechtsprechung des BGH soll der Vortrag Gelegenheit geben, die Wurzeln unserer bis ins erste Semester zurückreichenden Dogmatik (wieder) zu ergründen und vielleicht zu überdenken.
Schrottimmobilien – Rückgaberecht oder Schadensersatzanspruch? Michael Stürner, 28. Juni 2006
Dem Fiskus ein Schnippchen schlagen und dabei gutes Geld verdienen – mit dem fremdfinanzierten Kauf von Immobilien oder ähnlichen Anlagemodellen wollten Millionen von Bundesbürgern solide Vermögensverwaltung betreiben. Eine Flut von Entscheidungen der Zivilgerichte und auch des EuGH zur Rückgabe von plakativ mit „Schrottimmobilien“ apostrophierten Anlageobjekten zeigt, dass dies in vielen Fällen fehlschlug. Es stellt sich die Frage, wer für das Scheitern der Investition einstehen muss: der Anleger oder die Bank?
Wer frisst wen? - Weiterfresser vs. Nacherfüllung (veröffentlicht in JZ 2006, 641 ff.) Peter Tettinger, 12. April 2006
Ob dem Käufer einer mangelhaften Sache auch deliktische Ansprüche zustehen, wenn der anfängliche Sachmangel eine nachträgliche weitere Verschlechterung der Sache („Weiterfresserschaden“) bewirkt, ist seit langem umstritten. Dafür spricht sich insbesondere die Rechtsprechung im Hinblick auf den Schaden aus, der mit dem der Sache von Anfang an anhaftenden Mangelunwert nicht „stoffgleich“ sei. Die im Zuge der Schuldrechtsreform erfolgte Umgestaltung des Verjährungsrechts und das implementierte vertragsrechtliche Nacherfüllungskonzept lassen an der Tragfähigkeit dieses Ansatzes zweifeln. Der Vortrag geht den daraus abzuleitenden Konsequenzen nach.
Schadensersatz bei Gesundheitsspätschäden: Anspruchsverjährung vor dem Hintergrund der Schadenseinheit Christine Budzikiewicz, 11. Januar 2006
Verkehrsunfälle, Operationen, der Umgang mit giftigen Chemikalien, aber auch handgreifliche Auseinandersetzungen
führen nicht selten zu einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Geschädigten, deren ganzes Ausmaß erst Jahre nach der schädigenden Handlung ersichtlich wird. In Literatur und Rechtsprechung ist seit langem umstritten, in welchem Umfang eine Verfolgung auch der aus der schädigenden Handlung resultierenden Spätfolgen möglich sein soll. Unter diesen Streit hat der Reformgesetzgeber mit den am 1.1.2002 in Kraft getretenen Neuerungen nur vermeintlich einen Schlusspunkt gesetzt.
Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess aus der Perspektive des Schadensrechts (veröffentlicht in AcP 206 (2006), 746 ff.) Moritz Brinkmann, 14. Dezember 2005
Es ist dogmatisch nach wie vor umstritten, jedoch praktisch äußerst brisant, ob etwa der Kläger, der unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts heimlich Tonband- oder Videoaufnahmen vom Beklagten gemacht hat, diese in einem Prozess als Beweismittel verwenden kann. Ist es vielleicht sogar einer Partei gestattet, den ihr obliegenden Beweis mit einer Urkunde zu führen, die sie dem Gegner gestohlen hat? In der Fachpresse wurde das Problem jüngst anlässlich der BGH-Entscheidung zur Verwertbarkeit privat durchgeführter DNS-Tests im Vaterschaftsanfechtungsprozess kontrovers diskutiert (BGH NJW 2005, 497 ff.).
Partielle Geltungserhaltung von AGB-Klauseln am Beispiel des Übertragungsverbotes der Fußball-WM-Ticket (veröffentlicht in NJW 2005, 934 ff.) Marc-Philippe Weller, 16. November 2005
Bei der Fußball-WM 2006 soll ein Schwarzmarkthandel mit WM-Tickets unterbunden werden. Zu diesem Zweck hat der DFB in seinen Ticket- Verkaufsbedingungen statuiert, dass die Tickets, die auf den Namen des Berechtigten lauten, nur nach Zustimmung durch den DFB weiter übertragen werden dürfen. Dieses Übertragungsverbot mit Zustimmungsvorbehalt entpuppt sich - auch nach Intervention der Verbraucherverbände - unter mehreren Gesichtspunkten als angreifbar. Es soll zum einen aufgezeigt werden, dass eine Ticket-Veräußerung unter Privaten kein verbotener Schwarzmarkthandel ist. Zum anderen wird dargelegt, dass die momentane Ausgestaltung des Übertragungsverbots einer AGB-Kontrolle wohl nicht standhält.